EKD-Ratsvorsitzender Schneider zum Pontifikat Benedikt XVI.

"Ein intellektueller Papst"

Seit fünf Jahren steht Benedikt XVI. an der Spitze der katholischen Weltkirche. Er wünsche sich vom Papst, "dass er hilft, eine neue ökumenische Vision zu entwerfen", sagt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider. Im Interview zieht er eine Bilanz des Pontifikats von Benedikt XVI. aus evangelischer Sicht.

 (DR)

KNA: Herr Präses Schneider, seit fünf Jahren steht Papst Benedikt XVI. an der Spitze der katholischen Kirche. Wie stellt sich sein Pontifikat aus evangelischer Sicht dar?
Schneider: Ich konnte am Empfang für die Vertreter der Ökumene teilnehmen, den Papst Benedikt XVI. beim Weltjugendtag in Köln 2005 gab. Dabei hat er seine Sicht dargestellt, dass die Taufe das Band der Einheit ist. Wir sind deshalb Schwestern und Brüder und sollen vor diesem Hintergrund auch freundlich miteinander umgehen. Damit hat er einen deutlichen Akzent gesetzt, der für die weitere Arbeit auch nach meiner Wahrnehmung mehr und mehr bestimmend wird. Die Taufe, die wir ja wechselseitig anerkennen, ist zur Zeit ein großes ökumenisches Thema.

Im Übrigen machen wir nach dem geradezu himmelsstürmerischen Erfolg nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil jetzt die Erfahrung, dass der Fortschritt auch ein Problem ist.

KNA: Inwiefern?
Schneider: Es führt zur Frustration, wenn es dann nicht mehr in demselben Tempo weitergeht. Wir sind jetzt mit den Mühen der Ebene befasst, und wir kommen dabei an die harten Kernfragen:
Amtsverständnis, Kirchenverständnis, Sakramentsverständnis. Wir sollten das miteinander aushalten und darauf setzen, dass ökumenisches Verstehen nicht nur etwas ist, was wir machen, sondern was uns auch geschenkt wird. Das hat auch Benedikt XVI. häufiger gesagt. Er ist ein Papst, der diese Zeit begleitet mit der ihm eigenen Freundlichkeit, aber auch Festigkeit. Der auch die Grenzen sehr deutlich gesetzt hat, auch uns gegenüber, manchmal in einer Weise, die wir als verletzend empfunden haben. Der aber auch das Gemeinsame durch die Taufe betont hat.

KNA: Sie teilen demnach nicht die Einschätzung, die Margot Käßmann etwas salopp formuliert hatte, dass sie von diesem Papst in ökumenischer Hinsicht nichts erwartet.
Schneider: Meine Position ist: Wir sind in der Zeit der Bewahrung dessen, was wir erreicht haben. Und das ist auch in sich ein wichtiges Ziel.

KNA: Was hat Sie persönlich positiv überrascht im bisherigen Pontifikat von Benedikt XVI.?
Schneider: Das war zum einen diese Begegnung in Köln, wo ich einen sehr nachdenklichen, freundlichen, zurückhaltenden Papst erlebt habe, der gar nicht triumphierend auftrat, sondern auch eine große Nähe herzustellen in der Lage ist. Was ich auch schätze ist, dass er ein sehr kluger Papst ist, ein intellektueller Papst, der das theologische Gespräch anregt, auch im Widerspruch, etwa durch sein Jesus-Buch. Und ich fand bemerkenswert, dass er darin gesagt hat: Das ist nicht ex cathedra, sondern hier spricht der Wissenschaftler.
Damit hat er den Weg freigemacht zu einer kritischen Debatte.

KNA: Und was hat Sie besonders enttäuscht?
Schneider: Es war schon schwer für mich zu lesen, was er noch als Präfekt der Glaubenskongregation im Dokument «Dominus Iesus» und dann noch einmal im Zusammenhang mit dem Abendmahl gesagt hat: Diese Abgrenzung ist in einer Weise formuliert, die ich mir auch hätte freundlicher oder verbindender vorstellen können. Aus der Kirchengeschichte kennen wir den Wechsel zwischen Differenzierung und Integration. Der Papst hat in Zeiten, in denen wir wieder zusammenführten, einige sehr deutliche Differenzierungen gesetzt. Waren sie wirklich nötig? Ich würde vom Papst auch erwarten, dass er hilft, eine neue ökumenische Vision zu entwerfen: Was ist jetzt der theologische Begriff, der uns weiterhilft? Es wäre schön, wenn er dazu einen Beitrag leisten würde.

KNA: Welche Impulse könnten in dieser Hinsicht gerade vom Papst ausgehen?
Schneider: Es ist ja das Papstamt selbst, über das man nachdenken müsste. Johannes Paul II. hat einmal gesagt, dass das Amt der Einheit in paradoxer Weise den Weg zur Einheit schwer macht. Da einige Horizonte zu öffnen, wäre wichtig. Denn eins ist völlig klar - das gilt für die Orthodoxie wie für die Kirchen der Reformation: Der Rechtsanspruch und der Anspruch der Wahrheit der Lehre, die mit dem Papstamt verbunden sind, sind für uns nicht akzeptabel. Es wäre für uns alle hilfreich, wenn gerade dieser intellektuelle Papst zu seinem Amt Vorschläge machen würde, die weiterführen.

KNA: Könnten Sie sich aus evangelischer Sicht eine Form des Petrusamtes vorstellen, von der Sie sagen, das wäre auch für uns akzeptabel?
Schneider: Es müsste stärker ein symbolisches, repräsentatives Amt sein. Ob das real möglich ist, ist angesichts der geschichtlichen Entwicklung fraglich. Das Petrusamt hat sich ja im Anspruch auf Jurisdiktion und dogmatische Wahrheit eher verfestigt als geöffnet.

KNA: Worüber würden Sie bei einer Audienz gerne mit Benedikt XVI.
sprechen?
Schneider: Das Papstamt wäre ein solches Thema. Ein zweites Thema, bei dem wir uns sicher sehr schnell verständigen können, ist, wie wir als Kirchen in der Gegenwart so in die Welt hineinsprechen, dass die Armen nicht ständig ärmer werden und der Reichtum der Reichen nicht immer größer wird.

KNA: Sie haben es schon angesprochen - Benedikt XVI. gilt vor allem als Theologen-Papst. Er hat das Jesus-Buch geschrieben und drei Enzykliken. Wie werden diese Lehr-Äußerungen im evangelischen Raum rezipiert?
Schneider: Sie werden rezipiert, etwa in der Arbeit in Akademien, aber auch in der sozialethischen Arbeit. «Caritas in veritate» war eine Schrift, die auch wir aufgegriffen haben für unsere sozialethischen Überlegungen.

KNA: Wie stellt sich aus Ihrer Sicht der innerkatholische Konflikt um die Piusbruderschaft dar? Spielt das im ökumenischen Gespräch eine Rolle, oder sehen Sie das eher als Angelegenheit, die die Katholiken unter sich ausmachen müssen?
Schneider: Das ist in der Ökumene wie bei jeder Partnerschaft: Was der andere tut, hat immer auch Auswirkungen auf einen selber. Was dort mit den Piusbrüdern diskutiert wird, hat natürlich auch Rückwirkungen auf das Verhältnis zu den Kirchen der Reformation. Es stellt sich die Frage: Wie verhält sich das Bemühen um die Piusbruderschaft und um die kirchliche Einheit zum ökumenischen Bemühen um Gemeinsamkeit und Einheit mit den anderen Kirchen? Völlig unbestritten ist, dass der Papst selber meilenweit von den Positionen der Piusbruderschaft, vor allen Dingen von Williamson ...

KNA: ... dem britischen Traditionalisten-Bischof, der den Holocaust leugnet ...
Schneider: ... entfernt ist. Das ist überhaupt keine Frage. Die Irritation entsteht eher durch das Bemühen um die Piusbruderschaft mit solchen Ansichten. Es scheint mir undenkbar, dass solche Ansichten in der römisch-katholischen Kirche überhaupt Platz haben.

Interview: Norbert Zonker (KNA)