Vor 20 Jahren wurde Namibia unabhängig

Schwarzwälderkirsch in Swakopmund

Fast hundert Jahre lang blickte der Reiter trutzig über Namibias Hauptstadt Windhuk. Noch zur Kaiserzeit hatten die deutschen Kolonialherren die Schutztruppenfigur auf einer kleine Anhöhe zwischen Christuskirche und "Alter Feste" eingeweiht. Im vergangenen Jahr musste der Bronze-Koloss zeitweise weichen: Zum 20. Jahrestag der Unabhängigkeit am Sonntag wurde ein monumentales Nationalmuseum gebaut - ein rund sechs Millionen Euro teures Stück Erinnerungskultur.

Autor/in:
Ellen Reglitz
 (DR)

Im Jahr 1990 wurde Namibia ein selbstständiger Staat. Das Jahrhundert der Fremdbestimmung hatte mit der deutschen Kolonialzeit im Jahr 1884 begonnen. Die Schutztruppe hielt sich nur 31 Jahre in Deutsch-Südwestafrika, hinterließ aber tiefe Spuren, die bis heute kaum aufgearbeitet sind.

Nach den Deutschen übernahm Südafrika die Verwaltung des Landes. Wegen der Apartheid-Politik entzogen die UN Südafrika später dieses Mandat. Im Jahr 1989 fanden schließlich die ersten freien Wahlen in Namibia statt.

In Swakopmund biegen sich die von Wüstensand bedeckten Palmen in der Meeresbrise. Die Stadt liegt mitten in der Wüste Namib und gleichzeitig direkt am Atlantik. Der kleine Ort mit seinen 25.000 Einwohnern erinnert auch fast hundert Jahre nach dem Ende der deutschen Kolonialzeit an ein Ostseebad. Das Swakopmunder Café-Treff verkauft Schwarzwälderkirsch-Torte, im Supermarkt steht Mühlhäuser Marmelade im Regal.

Nur rund ein Prozent der zwei Millionen Einwohner Namibias ist heute deutschsprachig. Doch die deutsche Kultur ist nicht nur in den Straßen Swakopmunds präsent. Der staatliche Rundfunk bietet ein deutsches Radioprogramm. Und die Nachfahren der deutschen Kolonialherren sind wirtschaftlich nach wie vor bevorteilt in einem Land, das nach Angaben des Entwicklungsprogramms UNDP weltweit einen der höchsten Einkommensunterschiede aufweist.

Der Politikwissenschaftler Henning Melber hat als Sohn deutscher Einwanderer in Namibia gelebt. Heute beklagt er den Erinnerungskommerz im Land: "Die Reichskriegsflagge ziert in Souvenirgeschäften diverse Tassen, Teller und Aschenbecher. Auch T-Shirts und Aufkleber wenden sich gelegentlich an die ewig gestrige Kundschaft aus Übersee", schrieb Melber in der deutschsprachigen "Allgemeine Zeitung" in Windhuk.

Was bei aller eigentümlichen Deutschtümelei bisweilen in den Hintergrund gerät: Die deutsch-namibische Kolonialzeit war schmerzhaft. Die einheimischen Herero und Nama erhoben sich gegen die weißen Siedler, weil diese ihnen das Land wegnahmen.

Der Konflikt eskalierte am 11. August 1904 am Fuße des Waterbergs: Die Deutschen scheuchten die Hereros in die wasserlose Omaheke-Wüste. Mehr als zwei Drittel der 80.000 Herero sowie 10.000 Nama kamen im Kolonialkrieg ums Leben. Historiker sprechen vom ersten von Deutschen begangenen Völkermord.

Seitens der Herero existieren bis heute Entschädigungsforderungen an die deutsche Bundesregierung. Doch lange gab es nicht mal eine Entschuldigung. Erst 2004 bat die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) bei einer Gedenkfeier 100 Jahre nach der Niederschlagung des Aufstands als erstes deutsches Regierungsmitglied "im Sinne des gemeinsamen Vaterunsers um Vergebung".

Gleichzeitig brachte sie eine Versöhnungsinitiative auf den Weg, die "besonders den Volksgruppen, die in besonderer Weise unter der deutschen Kolonialherrschaft gelitten haben" nutzen soll. Doch die Nachfahren der Opfer fühlen sich von den Entscheidungen ausgeschlossen.

Im vergangenen Sommer in Bremen wurde ein Mahnmal für die Opfer deutscher Schutztruppen in Namibia eingeweiht. Der Vorsitzende des Ovaherero-Genozidkomittees, Utjiua Muinjangue, kommentierte dies mit den Worten: "Deutsche Sympathisanten und Gutmenschen sollten aufhören, Dinge für uns anstatt mit uns zu tun."

Von der Linie seiner Vorgänger rückt auch der neue Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) nicht ab. "Die Bundesregierung bekennt sich zu der besonderen historischen und moralischen Verantwortung von Deutschland für Namibia, sieht aber keine rechtliche Grundlage für Entschädigungsforderungen", teilte sein Ministerium mit. Dies komme auch im Umfang der deutschen Leistungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zum Ausdruck - Namiba erhalte die höchsten Leistungen pro Kopf in Afrika.