Tom Koenigs zur Arbeit des UN-Menschenrechtsrates

"Immer im Dilemma"

Der Vorsitzende des Bundestags-Menschenrechtsausschusses, Tom Koenigs, hat den Umgang von UN-Gremien und Bundesregierung mit dem Goldstone-Bericht über den Gaza-Konflikt vor einem Jahr kritisiert. Im Interview äußert sich der Grünen-Politiker zur Arbeit des UN-Menschenrechtsrates.

 (DR)

KNA: Herr Koenigs, nach der Ablösung der UN-Menschenrechtskommission durch den jetzigen Rat 2006 gab es große Hoffnungen, die heute vielfach schon zerstoben sind. Wie bewerten Sie die jetzige Lage des Gremiums?
Koenigs: Ich habe 2005 noch die Kommission miterlebt und intensiv die Diskussionen verfolgt, die dann zur Gründung des Menschenrechtsrates geführt haben. Da ist - nicht zuletzt wegen der damaligen US-Regierung - eine Chance vertan worden, den Rat zu einem wirksameren Gremium zu machen. Die ganze UN-Reform ist ja eigentlich auf halber Strecke steckengeblieben. Und deshalb funktioniert der Rat nicht wesentlich besser als zuvor die Kommission.

KNA: Zu den 47 Mitgliedern zählen auch diverse Staaten, die selber wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik sind. Wie sehr spricht das gegen die Glaubwürdigkeit oder gegen erfolgreiches Arbeiten?
Koenigs: Das wird immer ein Dilemma bleiben. Denn man versucht, bewusst auch Staaten in einen Dialog zu Menschenrechten einzubinden, die es mit den Menschenrechten nicht so genau nehmen, und sie damit doch dazu zu bringen. Ich finde diesen Ansatz grundsätzlich richtig.

Dass im Menschenrechtsrat auch Staaten sind, die - um es vorsichtig zu sagen - beim Thema Menschenrechte in der Kritik stehen, ist deswegen bei den Vereinten Nationen naturgemäß.

KNA: Spätestens seit dem Gaza-Konflikt gibt es aus dem Rat massive Kritik an Israel, manche sprechen von einem Israel-Bashing...
Koenigs: Der Nahostkonflikt war immer schon ein Thema, das dazu neigte, UN-Gremien zu paralysieren. Das galt zuvor für die Menschenrechtskommission, das gilt jetzt für den Rat. Ich finde, dass der Goldstone-Bericht durch seine bemerkenswerte Ausgewogenheit eine große Chance zur Aufarbeitung geboten hat, die aber leider weder vom Menschenrechtsrat noch von der Bundesregierung genutzt worden ist.

KNA: Der Menschenrechtsrat käme weiter, wenn er gegenüber Israel Kritik sachlicher voranbringen würde?
Koenigs: Das fände ich sinnvoll. Denn der Goldstone-Bericht kritisiert beide Seiten - Israelis und Palästinenser - und stellt die Aufgabe, unabhängige Untersuchungen anzustellen. Das ist ein vernünftiger Ansatz, der aber leider von allen Beteiligten nicht angemessen und ausreichend ernsthaft unterstützt worden ist. Das ist sehr zu bedauern.

KNA: Von Session zu Session hofft man, dass der Menschenrechtsrat höhere Glaubwürdigkeit bekommt. Strukturell wird sich kaum mehr etwas ändern. Was sollte man also tun?

Koenigs: Man sollte tatsächlich nicht mehr auf eine Strukturreform setzen, sondern die Gremienarbeit selbst verbessern. Es ist eine gewaltige Chance, dass die USA wieder mit dabei sind. Damit unterzieht sich ein ganz wichtiges Mitglied der internationalen Gemeinschaft wieder den multilateralen Anstrengungen. Wenn man das Gremium sachlicher nutzt und nicht als Bühne für andere Anlässe missbraucht, dann hilft das. Statt zu boykottieren, sollte man argumentieren und mit Worten streiten. Das ist wichtiger als irgendwelche Symbolaktionen - von welcher Seite auch immer.

KNA: Welches Ziel hat der Bundestagsausschuss bei seinem Besuch in Genf?

Koenigs: Wir brauchen für unsere Arbeit in Berlin den Kontakt mit den UN-Menschenrechtsinstitutionen. Deshalb werden wir mit den Berichterstattern für die Menschenrechte im Antiterrorkampf und für Folter sprechen, wir werden mit der Hochkommissarin für Menschenrechte und dem Flüchtlingskommissariat reden und den Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes, Professor Jakob Kellenberger, treffen. All das hilft uns in unserer weiteren Arbeit, bei der wir international mit den Menschenrechtsverteidigern zusammenarbeiten müssen.

KNA: Außenminister Westerwelle hat in dieser Woche in Genf auch die Frage der Religionsfreiheit angesprochen. Wie sehr ist das in Genf ein Thema?
Koenigs: Nur insoweit, als einzelne Mitgliedsstaaten, beispielsweise Deutschland, es thematisieren. Ich halte das Thema Religionsfreiheit für ein ganz wichtiges. Und ich werde an dem Punkt auch in Genf diskutieren, denn Religionsfreiheit ist eines der Schwerpunktthemen unseres Ausschusses in der nächsten Zeit - allerdings bezogen auf Europa. Wir Europäer werden nur glaubwürdig sein, wenn wir auch in Europa selbst aufmerksamer sind und uns unseren menschenrechtlichen Problemen stellen. Das habe ich beispielsweise im Menschenrechtsdialog mit China gelernt: Am besten kann man gemeinsam Problemlösungen finden, wenn man selbst best-practice-Beispiele vorzeigen kann.

Interview: Christoph Strack