Notfallseelsorge in Deutschland fürchtet Personalengpässe

"Wir werden immer häufiger angefordert"

 (DR)



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Von Christoph Arens (KNA)

Sie überbringen Todesnachrichten an Angehörige, bieten Opfern von Unfällen oder Gewalttaten in den ersten Stunden Hilfe an und betreuen Feuerwehrleute, Polizisten und Rettungskräfte nach schweren Einsätzen. Die Notfallseelsorge der beiden Kirchen wird bundesweit immer stärker angefragt. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erläutert der Bonner Notfallseelsorger und Redemptoristenpater Jürgen Langer, warum das Angebot langsam an seine Grenzen stößt.

KNA: Pater Langer, Amokläufe an Schulen, Familientragödien: Täuscht der Eindruck, dass die Notfallseelsorge immer öfter zu Einsätzen gerufen wird?

Langer: Wir werden in der Tat bundesweit immer häufiger angefordert.
Das hat auch damit zu tun, dass Polizei, Feuerwehr und Ärzte mittlerweile mit uns rechnen und wissen, dass wir den Opfern, den Angehörigen, aber auch den Rettungskräften helfen können, traumatische Erlebnisse besser zu verarbeiten.

KNA: Gibt es auch eine Zunahme schwerer Vorfälle?

Langer: Das kann ich für Deutschland insgesamt nicht einschätzen.
Bei uns in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis gibt es sicher eine steigende Zahl schwerer Gewalttaten, zu denen wir gerufen werden.
Meist handelt es sich um Familiendramen: Beispielsweise hatten wir
2009 wieder einen Fall in Bonn, wo ein Mann seine Frau auf offener Straße erschossen hat, bevor er sich selbst tötete. Zurück blieben zwei Kinder.

KNA: Das sind sicher sehr zeitintensive Betreuungsfälle...

Langer: Denken Sie nur an den im letzten Moment vereitelten Amoklauf im Schulzentrum in Sankt Augustin im Mai 2009. Da haben wir Seelsorger zusammen mit dem schulpsychologischen Dienst und der örtlichen Erziehungsberatungsstelle mehr als 300 Gespräche geführt..
Da wurde unsere Kapazität bis an die Grenze ausgeschöpft.

KNA: Haben Sie genügend Personal?

Langer: Nein, die personelle Situation bereitet uns Bauchschmerzen.
Bundesweit sind die beiden Kirchen die alleinigen Träger der Notfallseelsorge - sie allein stellen das Personal und tragen die Kosten. Und da die Kirchensteuereinnahmen sinken und auch kirchliches Personal abgebaut wird, wird es zunehmend schwieriger, geeignete Notfallseelsorger zu finden. Land und Kommunen sagen zwar, sie brauchen dieses Notfallsystem, tragen aber nichts zur Finanzierung bei. Auch die Sozialsysteme wären eigentlich gefordert, zumindest einen Teil der Kosten zu übernehmen. Allein die Ausbildung eines Pfarrers zum Notfallseelsorger kostet rund 2.500 Euro.

KNA: Steigender Bedarf bei gleichzeitig weniger Ressourcen: Was heißt das für die Kirchen?

Langer: Die Schere geht auseinander. In manchen Regionen sind die Notfallseelsorger am Ende ihrer Möglichkeiten. Wir garantieren ja eine ständige Erreichbarkeit rund um die Uhr an 365 Tagen - das ist nur mit großem persönlichen Engagement möglich. Die Kirchen müssen sich deshalb entscheiden, welche Priorität die Notfallseelsorge für sie hat. Bisher ist das Feld für sie zwar interessant und wichtig, aber im Zweifel hat dann Gemeindeseelsorge doch die größere Bedeutung.

KNA: Kann man mehr auf ehrenamtliche Helfer setzen?

Langer: Das ist natürlich möglich und geschieht auch schon, beispielsweise hier bei uns in Bonn/Rhein-Sieg. Aber auch der Einsatz von Ehrenamtlichen ist, wie das Beispiel der Telefonseelsorge zeigt, sehr zeit- und kostenintensiv: Denn sie benötigen Ausbildung, Begleitung und Betreuung durch hauptamtliche Kräfte.

KNA: Ihr Ziel ist es ja auch, die Einsatzkräfte bei Feuerwehr, Polizei und Rettungsdiensten zu betreuen. Ist das überhaupt noch realistisch?

Langer: Das kommt wirklich zu kurz. Ursprünglich war geplant, diesen Helfern, die immer wieder mit schwersten Schicksalen konfrontiert werden, eine kontinuierliche Seelsorge anzubieten. Das aber schaffen wir nicht. Wir sind froh, wenn wir den Helfern in konkreten Krisensituationen beistehen können.