Kläger zeigen sich von Karlsruher Entscheidung enttäuscht

"Das ist ein Wischi-Waschi-Urteil"

Trotz ihrer weitestgehend erfolgreichen Klage zeigen sich die Kläger nach der Urteilsverkündung am Dienstag in Karlsruhe enttäuscht. Fünf Jahre lang war die Familie Kerber-Schiel durch die Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen.

Autor/in:
Frank Leth
 (DR)

Die Dortmunder hatten sich gegen zu niedrige Hartz-IV-Leistungen für ihre Kinder gewehrt. Im Jahr 2005 waren dies monatlich 207 Euro für Kinder unter 14 Jahren. Auch Familien aus dem bayrischen Lindau und dem nordhessischen Eschwege hatten gegen die Höhe der Regelleistung geklagt, weil diese nicht das Existenzminimum gewährleiste. (AZ: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09)

Trotz ihrer weitestgehend erfolgreichen Klage zeigte sich Familie Kerber-Schiel nach der Urteilsverkündung am Dienstag in Karlsruhe enttäuscht. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Berechnung der Hartz-IV-Regelleistungen für Erwachsene und für Kinder für verfassungswidrig. Mit der seit 2005 in Kraft getretenen Hartz-IV-Reform hat nach dem Urteil der Karlsruher Richter der Gesetzgeber den Bedarf der Ärmsten der Bevölkerung falsch berechnet.

Gerade bei den Kindern sei "ins Blaue hinein" geschätzt worden. Der Gesetzgeber müsse aber den exakten Bedarf der Hilfebedürftigen ermitteln und klar benennen. Bis Ende dieses Jahres hat die Regierung Zeit, neu zu berechnen, was Hartz-IV-Empfänger zum Leben brauchen.

"Für uns ist das ein Wischi-Waschi-Urteil", reagierte die Familie Kerber-Schiel unmittelbar nach Urteilsverkündung. Denn trotz ihrer erfolgreichen Klage erhalten sie wegen der für den Gesetzgeber eingeräumten Nachbesserungsfrist keine rückwirkenden Hartz-IV-Zahlungen. "Fünf Jahre lang wurde hier wegen viel zu geringer Hartz-IV-Leistungen die Menschenwürde verletzt, und jetzt gibt es nichts", sagte der Anwalt der Familie, Martin Reucher.

"Was ist, wenn die Politik wieder mogelt?"
Nun müsse zwar die Bundesregierung genau und transparent nachweisen, wie sich der einzelne Bedarf in der Regelleistung von Kindern und Erwachsenen zusammensetzt. "Was ist, wenn die Politik wieder mogelt und noch einmal falsch rechnet", fragt Reucher. Müsse man dann wieder fünf Jahre dagegen klagen?

Die klagende Familie aus Bayern hat erst gar nicht mit der Zahlung rückwirkender Hartz-IV-Leistungen gerechnet. "Der Vater der Familie ist Gewerkschafter." Er habe politisch gehandelt und gewollt, "dass das ungerechte Hartz-IV-System verfassungsrechtlich überprüft wird", sagte Max Eppelein vom DGB-Rechtsschutz und einer der Anwälte der Familie dem epd. Außerdem habe die Familie wieder Arbeit, sie sei daher nicht mehr im Leistungsbezug.

Hartz-IV-Empfänger, die Widerspruch oder Überprüfungsanträge gegen ihren Hartz-IV-Bescheid gestellt haben, erhalten laut Eppelein nach dem Karlsruher Urteil keine Nachzahlung. Es sei denn, sie könnten nachweisen dass bei ihnen ein besonderer Bedarf und eine besondere Härte vorliegt. Dann muss das Jobcenter sofort mehr zahlen.

Was genau ein Härtefall ist, werden die Gerichte entscheiden
Denn nach der Entscheidung der Verfassungsrichter entsteht der Anspruch auf zusätzliche Leistungen erst dann, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass "das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet" ist. Dies dürfte "nur in seltenen Fällen in Betracht kommen", sagte Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier in der Urteilsbegründung. Der Bedarf müsse zudem "unabweisbar" und "laufend" vorhanden sein.

Ein einmaliger Bedarf wie eine neue Winterjacke dürfte danach kein Härtefall darstellen. Ein erhöhter Bedarf für das Mittagessen für Kinder oder die regelmäßige Wahrnehmung des Umgangsrechts bei geschiedenen Eltern könnten hingegen nach Ansicht von Experten zu mehr Leistungen führen. Was genau ein Härtefall ist, werden die Gerichte entscheiden müssen. Rechtsanwalt Reucher geht davon aus, dass die Jobcenter in Kürze mit Härtefallanträgen überschwemmt werden.