Sexualverbrecher kommt nicht in Sicherungsverwahrung

Neue Justizpanne löst Diskussion aus

Eine neue Panne erschüttert die nordrhein-westfälische Justiz. Ein weiterer verurteilter Sexualstraftäter kommt nicht in Sicherungsverwahrung, wie eine Sprecherin des Oberlandesgerichts Hamm am Montag mitteilte. Sie bestätigte damit einen Bericht des "Westfalen-Blattes" in Bielefeld. Die Opposition im Landtag kritisierte die Landesregierung.

Autor/in:
Martin Teigeler
 (DR)

Dem Bericht zufolge ist der mehrfach vorbestrafte Gewalt- und Sexualverbrecher Anfang Januar der Sicherungsverwahrung entgangen und freigelassen worden, weil die Staatsanwaltschaft Essen eine Frist hat verstreichen lassen. Der mehrfach verurteilte Mann, der unter anderem wegen versuchten Mordes und Kindesmissbrauchs gesessen hatte, war zuletzt 2003 vom Landgericht Essen zu sieben Jahren Haft verurteilt worden, weil er eine Frau mit einer Machete verletzt und ein Kind missbraucht hatte.

Das Gericht habe sich damals in seinem Urteil ausdrücklich die spätere Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Da der Mann in der Haft jede Therapie abgelehnt habe und von einem Gutachter weiterhin als gefährlich beschrieben werde, habe die Staatsanwaltschaft Essen im Dezember 2009 wenige Tage vor der Haftentlassung des Mannes die Sicherungsverwahrung beantragt.

Das Landgericht Essen sei dem Antrag gefolgt, doch das Oberlandesgericht (OLG) Hamm habe den Beschluss gekippt. Die OLG-Richter hätten darauf hingewiesen, dass das Strafgesetzbuch eine klare Frist setze, um in Fällen wie diesem die Sicherungsverwahrung zu verhängen. Sie müsse sechs Monate vor dem Zeitpunkt verhängt werden, zu dem eine Strafaussetzung auf Bewährung möglich sei.

Die Richter des OLG Hamm schreiben dem Zeitungsbericht zufolge in ihrem Beschluss, das Verfahren hätte bereits 2007 fristgerecht betrieben werden müssen. Damals sei klar erkennbar gewesen, «dass der Verurteilte keine Therapiebemühungen unternommen hat und seine Gefährlichkeit deshalb fortbestand».

Die Staatsanwaltschaft Essen räumte die Justizpanne ein. «Da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen», sagte Behördensprecherin Angelika Matthiesen gegenüber der Online-Ausgabe des «Westfalen-Blatts». Man prüfe gerade, wie es zu der Panne gekommen sei.

Die Deutsche Kinderhilfe forderte angesichts der Justizpanne klare gesetzliche Regelung im Umgang mit Sexualstraftätern. Da die Fristversäumnisse in der Praxis kein Einzelfall seien, müsse der Gesetzgeber eine Vereinheitlichung herbeiführen.

Ohne den konkreten Fall anzusprechen, forderte auch Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) eine Novelle: «Es darf nicht sein, dass aufgrund von Lücken, Unklarheiten oder Widersprüchen im Gesetz gefährliche Straftäter auf freien Fuß kommen können. Wer sich beispielsweise in der Haft als untherapierbar oder als therapieunwillig erweist, darf nicht ohne weiteres entlassen werden können.»

SPD und Grüne verlangten Erklärungen. «Das Frühwarnsystem der Ministerin hat versagt», sagte die Grünen-Justizexpertin Monika Düker. «Es ist für mich schlichtweg nicht nachvollziehbar, warum es bei einem Sexualstraftäter, dem gerichtlich die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung bescheinigt worden sind, wegen unsorgfältiger Fristverfolgung durch die Staatsanwaltschaft zur Freilassung kommen kann», sagte der SPD-Rechtsexperte Ralf Jäger.

Erst Mitte Januar hatte der Bundesgerichtshof (BGH) geurteilt, dass ein nachweislich gefährlicher Sexualverbrecher aus Heinsberg auf freiem Fuß bleibt. Der 59-jährige Karl D. wurde nicht nachträglich in Sicherungsverwahrung genommen. Der Fall sorgt seit Monaten für Proteste von Bürgern in Heinsberg.

Anfang Juli 2009 war zudem bekanntgeworden, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf einen mutmaßlichen Sexualstraftäter aus Viersen aus der Untersuchungshaft entlassen hatte. Müller-Piepenkötter hatte daraufhin den Leiter der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach mit sofortiger Wirkung abberufen.