Ernesto Cardenal wird 85 Jahre alt

Mystiker, Marxist, Christ

An ihm scheiden sich bis heute die Geister: Ernesto Cardenal - Priester, Mystiker, Widerstandskämpfer, Revolutionär, Marxist und Ex-Kulturminister Nicaraguas. Am Mittwoch wird Cardenal 85 Jahre alt. Mittlerweile ist es ruhig um ihn geworden. Doch im März tourt er noch einmal mit der lateinamerikanischen Musikband Grupo Sal auf Konzertlesereise durch Deutschland und Österreich.

Autor/in:
Michael Jacquemain
 (DR)

Für Linke war er seit dem Sturz der Somoza-Diktatur 1979 der lebende Beweis dafür, dass sich Christentum und Marxismus nicht widersprechen. Damals hatte ein breites Bündnis den seit 1936 an der Macht klebenden Familien-Clan aus dem Land getrieben. Erstmals in der Geschichte erkämpften Christen und Kommunisten gemeinsam einen Machtwechsel. Konservative, auch in der Kirche, sehen in Cardenal indes den gefährlichen Vorkämpfer einer falschen Bibelauslegung, die dem Katholizismus weltweit schweren Schaden zufügte.

Für weltweites Aufsehen sorgte der Mann mit den langen weißen Haaren und der Baskenmütze noch einmal, als er Mitte der 1990er Jahre aus der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) austrat. Cardenal verglich Präsident Daniel Ortega mit Adolf Hitler. In der Partei seien Wahlmanipulation, Diebstahl und Korruption an der Tagesordnung. Mit anderen Unzufriedenen gründete er die «Bewegung der sandinistischen Erneuerung» (MRS), um so seinen Überzeugungen treu zu bleiben.

Christentum und Marxismus als Einheit
Nach wie vor hält Cardenal Christentum und Marxismus für selbstverständlich miteinander vereinbar. Und für die nächsten 100 Jahre prognostiziert er, dem auch freundschaftliche Kontakte zum venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez nachgesagt werden, das «Jahrhundert eines marxistischen Christentums». Die wichtigste Entscheidung seines Lebens sei, dass er sich Gott verschrieben habe «und damit auch dem Volk und der Revolution».

Solche Bekenntnisse tragen nicht dazu bei, sich mit seinen kirchlichen Vorgesetzten auszusöhnen. Zu unüberbrückbar scheinen auch 20 Jahre nach Ende des sandinistischen Experiments die Gegensätze zu sein. So ist alles beim Alten: Cardenal ist Priester, will auch nicht laisiert werden, darf aber weder Messe lesen noch Beichte hören. Der Konflikt ist kennzeichnend für eine Ortskirche, in der nach Ansicht von Beobachtern «eine Art kalter Krieg» herrscht..

Radikal-urchristlichen Ideale
Heute kümmert sich der einstige Novize des US-Trappistenklosters Gethsemany und Freund des Dichtermönchs Thomas Merton um die mit Ex-Showmaster Dietmar Schönherr gegründete «Casa de los tres mundos». Das «Haus der drei Welten» in der einstigen spanischen Kolonialstadt Granada am Nicaragua-See will die in dem Land verschmolzenen europäischen, indianischen und afrikanischen Kulturelemente miteinander ins Gespräch bringen.

1966 hatte der Nonkonformist auf der Insel Solentiname im Nicaragua-See eine an radikal-urchristlichen Idealen orientierte Gemeinschaft gegründet. Es entstand das «Evangelium der Bauern von Solentiname», in dem der Philosoph, Literaturwissenschaftler und Theologe das Bemühen der Menschen erzählte, ihr Leben im Licht der Botschaft Jesu zu deuten.


1985 Suspendierung vom priesterlichen Dienst
1977 floh Cardenal nach Costa Rica und warb von dort um weltweite Unterstützung für die Sandinisten. Zwei Jahre später trat er wie drei andere Priester als Minister in Ortegas Revolutionsregierung ein. 1985 verbot ihm der Vatikan die Ausübung seines priesterlichen Dienstes - zwei Jahre zuvor hatte Cardenal Papst Johannes Paul II. bei dessen Besuch im Dom von Managua noch ein «Viva la revolucion» entgegengerufen.

1980 erhielt Cardenal den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Weitere Auszeichnungen folgten. 1998, im ersten Teil seiner Lebenserinnerungen, beschreibt sich der Charismatiker als vollkommen unmusikalisch und farbenblind. Vor ein paar Jahren erschien «Im Herzen der Revolution», der dritte und letzte Band seiner Autobiografie. Neben Berichten über Gespräche mit Ajatollah Khomeini, Muammar Gaddafi und Willy Brandt schreibt Cardenal über seine Hoffnung, dass die von Gott erwartete Revolution noch kommen wird. Typisch Cardenal: Während die einen mit dem Buch nichts anfangen konnten, priesen ihn andere als «Begründer der mystischen lateinamerikanischen Literatur» und als einen «der originellsten christlichen Mystiker des 20. Jahrhunderts».