Vier junge Gefangene sollen Mithäftling im Jugendgefängnis Herford gequält haben

NRW-Strafvollzug droht neuer Folterskandal

Mehr als drei Jahre nach dem Foltermord in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg gibt es neue Foltervorwürfe gegen Häftlinge im Herforder Jugendgefängnis. Die Vernehmungen der vier Tatverdächtigen seien noch nicht abgeschlossen, sagte der Bielefelder Oberstaatsanwalt Reinhard Baumgart am Freitag. Neben den beiden 16 und 17 Jahre alten Hauptverdächtigen sollen sich auch ein 15-Jähriger und ein 20-Jähriger beteiligt haben.

Autor/in:
Martin Teigeler
 (DR)

Laut «Bild»-Zeitung (Freitagsausgabe) soll der Überfall im Sommer 2009 im Jugendgefängnis passiert sein. Er wurde nur durch Zufall bekannt. In einem Strafprozess berichtete ein Zeuge, dass in der JVA ein Mithäftling gefoltert worden sei und sich ihm anvertraut habe. Das mutmaßliche Opfer bestätigte die Aussage.

Demnach soll der Junge von den Mitgefangenen auf ihre Zelle eingeladen worden sein. Dort soll er als Nazi beschimpft, mit einem Besenstiel geschlagen, sexuell missbraucht und mit einer Gardine gedrosselt worden sein. Zuletzt sollen die Täter den jungen Mann aufgefordert haben, sich mit einer Gardine aufzuhängen.

Sachbeweise fehlen
Aus Angst habe das Opfer die Sache nicht angezeigt, sich aber Mithäftlingen anvertraut, berichtet die «Bild»-Zeitung weiter. Vor anderen Gefangenen hätten die Täter mit der Tat geprahlt. Sachbeweise fehlten jedoch.

Das mutmaßliche 17-jährige Opfer befindet sich derzeit in der Türkei. Er soll nach seiner Rückkehr befragt werden. Danach will die Staatsanwaltschaft über die Anklageerhebung entscheiden. Der Anwalt des Hauptbeschuldigten wies die Vorwürfe als «haltlos» zurück.

Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) wollte sich gegenüber der «Bild»-Zeitung zu dem Vorfall nicht äußern. Ein Sprecher verwies auf die Gefängnisleitung. JVA-Chef Friedrich Waldmann sagte der Zeitung: «Gewalt dulden wir hier nicht im Ansatz. Als wir von den Vorwürfen erfuhren, haben wir sofort intern ermittelt und die Ergebnisse weitergeleitet.»

Müller-Piepenkötter steht seit Jahren wegen mehrerer Skandale und Pannen in der Kritik. Zuletzt waren Ende 2009 zwei Schwerverbrecher aus der JVA Aachen ausgebrochen.

Opposition fordert Aufklärung
Die SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag forderte eine lückenlose Überprüfung der neuen Foltervorwürfe. «Schon wieder ein möglicher Folterskandal in einer nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt. Schon wieder erfährt die Öffentlichkeit nur aus der Presse davon. Wieder taucht die zuständige Justizministerin dieses Landes ab und schiebt die Verantwortung auf andere», kritisierte SPD-Fraktionsvize Ralf Jäger. Die Ministerin solle im Rechtsausschuss des Landtags am 13. Januar Auskunft geben.

Auch die Grünen verlangten mehr Informationen. «Wir erwarten von der zuständigen Ministerin einen ausführlichen Bericht zu diesem schwerwiegenden Zwischenfall», sagte Grünen-Innenexpertin Monika Düker. Der Staat müsse «seiner besonderen Verantwortung für die körperliche und seelische Unversehrtheit der Inhaftierten gerecht werden», fügte die Landtagsabgeordnete hinzu.

Nach Medienberichten über Misshandlungsvorwürfe und Gewaltfälle hatte die JVA Gelsenkirchen im Februar des vergangenen Jahres eine neue Leitung bekommen.

Der Foltermord im Siegburger Jugendgefängnis hatte im November 2006 bundesweit die Öffentlichkeit schockiert. Damals quälten und vergewaltigten drei junge Männer einen 20 Jahre alten Mitgefangenen. Anschließend zwangen sie das Opfer, sich zu erhängen. Das Verbrechen löste eine Debatte über die Zustände in den Haftanstalten aus.