Grüne werden 30 - Einigen ist die eigene Partei zu artig geworden

Aufstieg der Protestler

Die Grünen sind längst erwachsen. Mitte Januar wird die Partei 30. Die Zeiten von Rauschebärten und Selbstgestricktem sind lange vorbei. Die Grünen sind in Parlamente eingezogen und auf Regierungsbänke gerückt. Die Partei gewinnt Mitglieder, Wählerstimmen und vor allem Potenzial. Der Lebensstil der Deutschen wird immer grüner - die Programme der politischen Mitbewerber auch.

Autor/in:
Christiane Jacke
 (DR)

Doch die Grünen scheinen verunsichert und auf der Suche nach ihrem eigenen Standort im Fünf-Parteien-System. Der Grünen-Nachwuchs, Parteilinke und alte Weggefährten meinen zu wissen, was die Partei jetzt braucht - ein bisschen radikaler und bunter möge sie wieder sein, so wie früher.

Die Grünen traten 1980 als Anti-Parteien-Partei an, um das etablierte System aufzumischen, für mehr Gleichberechtigung zu kämpfen und das Thema Ökologie in den Fokus zu rücken. Das ist ihnen gelungen. Anfangs seien sie verschrien gewesen als «verrückte Spinner, Birkenstocks und Müslis», erzählt Parteichefin Claudia Roth. Die einen hätten sie beschimpft, die anderen ausgelacht. Heute sind Birkenstocks in und die Grünen sind mit ihrem einstigen Alleinstellungsmerkmal im Alltag angekommen. Öko ist chic. Wer etwas auf sich hält, kauft Bio-Bananen, trägt Shirts aus Bio-Baumwolle und trennt seinen Müll.

Bei den Wählern haben die Grünen kontinuierlich dazugewonnen. Die einstige Protestpartei ist in Rathäuser eingezogen und hat es sowohl auf Landesebene als auch schon im Bund auf die Regierungsbank geschafft. Das sei nicht immer leicht gewesen, sagt Roth. Es sei eine «schmerzhafte» Erfahrung, «dass zur Politikfähigkeit einer grünen Partei auch die Kompromissfähigkeit gehört».

Ihre interne Kompromissbereitschaft haben die Grünen in den vergangenen Monaten eindrucksvoll demonstriert. Heftige Debatten um die Koalitionsfrage im Bund lösten sich regelmäßig in Wohlgefallen auf - immer rechtzeitig zum Parteitagsbeschluss. Den Grünen-Nachwuchs ärgert das. Aus «Angst, dass die ganze Partei auseinanderfliegt», würden Diskussionen nicht ausgetragen, sondern vertagt, sagt der Sprecher der Grünen Jugend, Max Löffler. Der Parteispitze gehe es darum, Geschlossenheit zu demonstrieren. Im Wahlkampf sei das nachvollziehbar, «aber nun wird das zu einer Art Dauerzustand». Auf ihrem Weg zu einer etablierten Partei sei den Grünen der Sinn für «selbstkritisches Infragestellen der eigenen Rolle» abhandengekommen.

Auch Löfflers Ko-Sprecherin bei der Grünen Jugend, Gesine Agena, meint, die Partei müsste «wieder radikaler denken». Geschlossenheit «um jeden Preis» sei nicht der richtige Weg.

Mit ihrer Kritik sind die Jung-Grünen nicht allein. Das Grünen-Urgestein Hans-Christian Ströbele hält seine Partei heute in manchen Dingen für «zu etabliert». «Im äußeren Erscheinungsbild wünsche ich mir die Grünen manchmal etwas bunter und alternativer, so wie das am Anfang gewesen ist», sagt er. Im Parlament etwa sind ihm die Grünen zu zahm und könnten wieder mal «Formen des Protestes praktizieren, wie wir das früher gemacht haben».

Ludger Volmer geht noch weiter. Er gehört wie Ströbele zu den Mitbegründern der Grünen, war Parteichef und saß in rot-grünen Regierungszeiten als Staatsminister im Auswärtigen Amt. Inzwischen hat er sich aus der aktiven Parteipolitik zurückgezogen - und entsprechend undiplomatisch fällt sein Urteil aus. Volmer kritisiert, die Grünen hätten in den vergangenen 15 Jahren wesentliche Teile ihres Profils «verspielt».

Die Partei habe zwischenzeitlich soziale Fragen vernachlässigt und dadurch große Teile ihrer linken Wählerschaft verloren. «Die Grünen haben sich selbst amputiert», sagt er. Die Diskussionen seien verflacht, der Blick nur auf «kleine Reförmchen» gerichtet. «Es fehlt der Mut zur Debatte», sagt er, «die Partei scheint wie gelähmt.»

Die Grünen-Spitze will davon nichts wissen. Die Grundsatzdebatten führten immer noch die Grünen, sagt Claudia Roth. Von Profilverlust oder Mutlosigkeit könne keine Rede sein. «Wir sind keine Alt-Partei geworden, sondern eine Alternative im Parteiensystem - nach wie vor.» Grünen-Fraktionschefin Renate Künast meint, die Partei habe sich sicher gewandelt, aber nie angepasst im negativen Sinne. «Wir haben die Gesellschaft verändert», sagt sie, «und das hat uns verändert.»