Der Islam in Deutschland blickt auf ein bewegtes Jahr

Fortschritte und Spannungen

Für den Islam in Deutschland war 2009 ein Jahr politischer Fortschritte und spannungsreicher Auseinandersetzungen. Glaubt man den Umfragen, ist das Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in Deutschland nicht unbelastet. Zwar lehnt die Mehrheit Emnid zufolge ein Minarettverbot wie in der Schweiz ab. Doch fürchteten sich im Dezember laut dimap drei Viertel der Deutschen vor einer Expansion des Islam, 36 Prozent bereitet der Gedanke daran sogar "große Sorgen".

Autor/in:
Christoph Schmidt
2011 soll die Moschee in Ehrenfeld fertiggestellt sein / © Michael Borgers (DR)
2011 soll die Moschee in Ehrenfeld fertiggestellt sein / © Michael Borgers ( DR )

Das vorläufig letzte Treffen der von Ex-Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) beförderten Deutschen Islamkonferenz (DIK) brachte gemeinsame Erklärungen der staatlichen und muslimischen Vertreter zur Sicherheitslage und zum demokratischem Wertekonsens. Vor dem Hintergrund der Prozesse gegen «Kofferbomber» und «Sauerlandgruppe» hatte dies vor allem symbolischen Wert.

Islamischer Schulunterricht kommt
Mehr Substanz boten die Empfehlungen der DIK zum islamischen Schulunterricht. Auf diesem Feld ist Bewegung zu erwarten.
Schulversuche mit Islamkunde gibt es schon in mehreren Bundesländern. 2010 will Nordrhein-Westfalen erstmals flächendeckend regulären Islam-Unterricht in deutscher Sprache einführen. Auch in Hessen, Niedersachsen und Bayern gibt es Impulse in diese Richtung.

Die Ausbildung geeigneter Lehrer läuft bereits an den Universitäten Münster und Osnabrück. In der niedersächsischen Stadt ist zudem der erste deutschsprachige Studiengang für Imame geplant.


Islamkonferenz geht weiter
Schäubles Nachfolger Thomas de Maiziere (CDU) will die Islamkonferenz fortsetzen. Bis zur staatlichen Anerkennung des Islam als Religionsgemeinschaft dürfte es indes wegen dessen organisatorischer Zersplitterung noch dauern. Das zeigte auch die Kritik liberaler Muslime in der DIK am Alleinvertretungsanspruch der vier konservativ ausgerichteten Islamverbände. Sie repräsentieren höchstens ein Fünftel der Muslime in Deutschland.

Gleichwohl verzeichnete der traditionelle Islam 2009 manchen Raumgewinn. Rheinland-Pfalz entschied gegen ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen, wie es in acht Bundesländern besteht. Das Berliner Verwaltungsgericht erlaubte einem Gymnasiasten das rituelle Gebet in der Schule, und in Köln und Frankfurt feierte man die Grundsteinlegung für große Moscheen, deren Bau einst heftig angefeindet wurde.

Religiös-kulturelle Konfrontationen
Es gab aber auch religiös-kulturelle Konfrontationen. Der Streit um den Hessischen Kulturpreis lieferte dem Feuilleton wochenlang Nahrung. Dass der Mainzer Kardinal Karl Lehmann und der ehemalige hessen-nassauische Kirchenpräsident Peter Steinacker zunächst die gemeinsame Annahme des Preises mit dem muslimischen Schriftsteller Navid Kermani verweigerten, weil dieser die Verehrung des Kreuzes angegriffen hatte, weckte neue Aufmerksamkeit für die theologische Dimension interkultureller Probleme. Nach vertraulicher Aussprache schritt man schließlich doch zusammen zur Verleihung.

Weniger Tiefgang hatte die Aufregung um das Vereinslied von Schalke 04. «Mohammed ist ein Prophet, der vom Fußballspielen nichts versteht», heißt es darin. Der von türkischen Medien angeheizte Proteststurm wurde von hiesigen Islamvertretern besänftigt.

Mord an Ägypterin
Aufwühlender war der Mord an der Ägypterin Marwa el-Sherbini durch einen fanatischen Islam-Hasser in Dresden. Die brutale Tat des Russlanddeutschen, der besonders das Kopftuch der schwangeren Frau verachtete, bezeichneten die Zentralräte der Muslime und Juden in Deutschland als Ausdruck einer hierzulande weit verbreiteten Islamphobie. Der Bundesregierung und den Medien warfen sie Gleichgültigkeit vor. Dagegen gerieten die abfälligen Äußerungen von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin gegen integrationsunwillige Muslime zum Politikum. Die Bank entzog ihm dafür einen Teil seiner Kompetenzen.

Die Affäre um den früheren Berliner SPD-Finanzsenator Sarrazin trug wohl dazu bei, dass die einst klassische Migrantenpartei SPD unter den 1,1 Millionen wahlberechtigten Muslimen massiv Stimmen eingebüßt hat. Die große Mehrheit favorisierte bei der Bundestagswahl laut Umfrage aber weiterhin Rot-Grün. Anzeichen für die Bildung einer muslimischen Partei gibt es nicht.