Bischöfin Käßmann bestimmt als Ratsvorsitzende den Kurs der evangelischen Kirche

Neues Gesicht des Protestantismus

"Emanzipiert, politisch, intellektuell und fromm" - so wird das neue Gesicht des Protestantismus in Deutschland in einem TV-Porträt beschrieben. Margot Käßmann, seit zehn Jahren Spitzenfrau der hannoverschen Landeskirche, ist seit Oktober als erste Frau Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Ein Blick auf die protestantischen Glaubensschwestern und -brüder im Jahr 2009.

Autor/in:
Rainer Clos
 (DR)

Nach der Wahl der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt zur Präses der Synode im Mai wählte das evangelische Kirchenparlament die 51-jährige Theologin mit klarer Mehrheit zur höchsten Repräsentantin der knapp 25 Millionen deutschen Protestanten.

Schon davor war Käßmann neben ihrem Vorgänger an der EKD-Spitze, dem brillanten Theologieprofessor und «Hauptstadtbischof» Wolfgang Huber (67), der bekannteste und in den Medien am meisten präsente evangelische Kopf. Und für Vertreter evangelischer Minderheitskirchen im europäischen Ausland ist es ausgemacht, dass Käßmann auch die protestantische Stimme in der EU sein wird.

Im Gespann mit dem rheinischen Präses Nikolaus Schneider, der mit klarem Votum zum Stellvertreter bestimmt wurde, wird sich die streitbare Theologin den Herausforderungen annehmen, die vor Kirche und Gesellschaft liegen. Im Gespräch mit der Politik will sie die Frage der sozialen Gerechtigkeit in den Vordergrund stellen. Die Herausforderungen für die Kirche bestehen in demografisch bedingten Rückgang von Mitgliederzahl und Finanzkraft und der Steuerung der daraus resultierenden Strukturanpassung, was Rückbau kirchlicher Arbeitsbereiche bedeuten kann.

«Christsein und Kirchenzugehörigkeit verstehen sich nicht mehr von selbst», markierte Bischof Huber beim «EKD-Zukunftskongress» in Kassel den Handlungsbedarf. In dem maßgeblich von Huber vorangetriebenen und - wie Kassel demonstrierte - in vielen Landeskirchen verwurzelten Reformprozess sind neue Akzentsetzungen wahrscheinlich. Doch zur Fortführung der ambitionierten Vorhabens, als dessen Schwerpunkte sich die heißen Eisen Qualität, missionarisches Handeln, sowie Führen und Leiten in der Kirche herauskristallisiert haben, hat sich Käßmann unmissverständlich bekannt.
Verstimmungen in der Ökumene
Wenige Wochen vor der Ratswahl sorgte ein vertrauliches EKD-Papier, in dem ungeschminkt und wenig respektvoll die Lage der katholischen Kirche beschrieben wurde, für erheblichen Wirbel. Die katholischen Bischöfe waren alles andere als «amused» über das Arbeitspapier und die darin festgehaltenen persönlichen Wertungen über katholische Bischöfe.

Aber das zwischen den beiden großen Kirchen eingespielte Krisenmanagement griff und es gelang, das Feuer auszutreten. Nach der demonstrativen Absage eines turnusgemäßen evangelisch-katholischen Spitzengesprächs folgte rasch eine Bereinigung der Verstimmung bei einem Treffen zwischen Huber und Erzbischof Robert Zollitsch in Karlsruhe. Dabei ebnete die in Baden bewährte gute evangelisch-katholische Nachbarschaft den Weg für die fälligen Klärungen. Zollitsch zeigte überdies mit seinem Auftritt vor der EKD-Synode in Ulm, dass das Band der Konfessionen belastbar ist.

Beide Kirchen verbuchten einen klaren Sieg vor Gericht. Nach ihrer Niederlage im Berliner Volksentscheid für Religionsunterricht waren die Kirchen mit ihren Beschwerden gegen das weitreichende Berliner Ladenöffnungsgesetz erfolgreich: Das Bundesverfassungsgericht kippte die Regelung, indem es entschied, dass die Geschäfte nicht an allen vier Adventssonntagen öffnen dürfen.
Zoff mit Orthodoxen
Ins Stocken geraten ist hingegen der Dialog der EKD mit der russisch-orthodoxen Kirche, der vor 40 Jahren angeknüpft wurde. Das Moskauer Patriarchat und speziell der orthodoxe «Außenminister», Erzbischof Hilarion, ließen wenig Zweifel daran aufkommen, dass die Käßmann-Wahl das zwischenkirchliche Gespräch belaste. In Briefen und Interviews machte Hilarion klar, dass die Wahl einer Frau zur Ratsvorsitzenden orthodoxem Amtsverständnis, das für Frauen keine geistlichen Ämter vorsieht, widerspreche.

Zugleich signalisierte der scharfe Kritiker des angeblichen Relativismus im westlichen Christentum seine Bereitschaft zu einem klärenden Gespräch. Seine EKD-Gesprächspartner können bei dieser Gelegenheit auf einen Text von 1992 zurückgreifen, indem die Position der evangelischen Kirche zu Frauenordination und Bischofsamt klargestellt wird: Die Wahl von Frauen in das Bischofsamt sei eine Konsequenz der Frauenordination. Das Bischofsamt sei nach reformatorischem Verständnis identisch mit dem des Pfarrers. Und deshalb spreche nichts dagegen, zum Pfarrdienst zugelassenen Frauen den Weg in Leitungsämter zu eröffnen. «Wer ökumenisch miteinander sprechen will», müsse Respekt für die Unterschiedlichkeit im Amts- und Kirchenverständnis aufbringen, empfiehlt die Ratsvorsitzende in Richtung Moskau.