KNA: Herr Pöttering, in den vergangenen Wochen sah es so aus, als ob das Thema Religion wieder stark in die Schlagzeilen drängt.
Kruzifix-Urteil in Straßburg, Minarett-Verbot in der Schweiz, das Bundesverfassungsgericht zur Sonntagsöffnung. Ihr Schwerpunkt-Thema als Europaparlaments-Präsident war der interkulturelle Dialog.
Werden Religionen wieder wichtiger in der Gesellschaft?
Pöttering: Es wird für die Bürgerinnen und Bürger zunehmend erkennbar, wie wichtig das Gelingen des Dialogs der Kulturen ist.
Dabei geht es auch um religiöse Fragen. Es geht um Toleranz füreinander, und die ist die Grundlage für das friedliche Zusammenleben, nicht nur in der Welt, sondern ganz konkret auch bei uns in Europa.
Das bedeutet, dass man eigene Werte, einen eigenen Standpunkt hat.
Man muss die Werte des anderen nicht akzeptieren, aber man muss sie respektieren. Toleranz ist nie eine Einbahnstraße. ´
Ein Beispiel: Wenn Muslime zu Recht erwarten, dass es in Europa Gebetshäuser und Moscheen gibt, dann müssen wir mit gleichem Recht fordern, dass es in islamischen Staaten auch Kirchen gibt. Zum Beispiel in Saudi-Arabien, wo viele hunderttausend christliche Gastarbeiter aus den Philippinen und anderen Ländern leben. Also:
Toleranz ist keine Einbahnstraße, und wir müssen auch unsere Werte in der Welt vertreten.
KNA: Ist das ein Thema, das Sie auch als Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung stark einbringen werden?
Pöttering: Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in über 60 Ländern mit Vertretungen vor Ort präsent, sie hat Projekte in über 100 Ländern..
Es ergibt sich aus der Natur der Sache, dass der Dialog der Kulturen schon heute eine wichtige Rolle spielt. Das ist eines der großen Themen der Stiftung.
Ein anderes wichtiges Thema ist die Soziale Marktwirtschaft, eine Frage, die wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise von großer aktueller Bedeutung ist - aber es handelt sich dabei auch um eine große Zukunftsfrage. Die Stiftung hat mehrere Schwerpunktthemen, aber der Dialog der Kulturen gehört ohne jeden Zweifel dazu.
KNA: Zu Sozialer Marktwirtschaft gehören für die Adenauer-Stiftung sicher auch Demokratieförderung und Menschenrechte - wird das auch ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sein?
Pöttering: Der Kern christdemokratischer Überzeugungen ist die Würde jedes einzelnen Menschen unabhängig von seiner Herkunft, unabhängig von seiner Religion, unabhängig von anderen Faktoren. Dieses christliche Menschenbild ist der Kern unserer Arbeit. Und aus diesem Menschenbild kann man sehr häufig auch sehr konkrete politische Handlungsanweisungen ableiten. Ich möchte, dass wir unsere Entscheidungen in der Politik wieder stärker sichtbar aus unseren Werten begründen.
Ein Beispiel: Wir haben jetzt die große Klimakonferenz in Kopenhagen. Da müssen wir zu Ergebnissen kommen, damit wir in dieser bedeutendsten Zukunftsfrage einen Beitrag leisten, um die Schöpfung zu bewahren.
Dass die EU hier eine Führungsrolle übernommen hat, darauf sollten wir stolz sein. Das hat kein anderes Land, keine andere Staatengemeinschaft geschafft. Wir Europäer werden damit unserer Verantwortung gerecht. Wir müssen jetzt versuchen, die anderen Länder auf diesem Weg mitzunehmen, denn die Zeit drängt.
KNA: Zurück zum christlichen Menschenbild: Es hat sich in Ihrer Partei kürzlich ein katholischer Arbeitskreis gegründet, nachdem es bereits einen evangelischen Arbeitskreis gab. Den Initiatoren geht es wohl darum, dem "C" im Parteinamen CDU mehr Gewicht zu geben. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Pöttering: Ich selbst wäre nicht auf die Idee gekommen, einen solchen Arbeitskreis zu gründen. Aber wenn er zur Selbstvergewisserung beiträgt und wenn das aus einem ökumenischen, offenen Geist geschieht, dann kann der neue Arbeitskreis eine sinnvolle Rolle erfüllen.
KNA: Zum Schluss: Sie hatten mehrfach Papst Benedikt XVI.
eingeladen, im Europaparlament zu sprechen - dazu ist es in Ihrer Amtszeit als Europaparlaments-Präsident nicht gekommen. Ist das Grund zur Traurigkeit für Sie?
Pöttering: Das ist kein Grund für Traurigkeit - Christen hoffen immer. Ich bedauere, dass Papst Benedikt XVI. nicht ins Parlament gekommen ist. Aber ich war dankbar, dass im Jahr des Dialogs der Kulturen 2008 andere religiöse Führer vor den Abgeordneten gesprochen haben, etwa der Dalai Lama, der Großmufti von Syrien Ahmad Badr el Din Hassoun oder der britische Oberrabbiner Jonathan Sacks. Der Hauptreferent für das Christentum war der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I., das Oberhaupt der orthodoxen Kirche.
Das Gespräch führte Christoph Lennert.
Hans-Gert Pöttering wird Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung
Entscheidungen aus den Werten
Der frühere Europaparlaments-Präsident Hans-Gert Pöttering ist am Freitag in Berlin zum Vorsitzenden der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung gewählt worden. Im Interview spricht er über seine politischen Schwerpunkte.
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