Sozialethiker Wallacher zur Weltklimakonferenz in Kopenhagen

"Es ist bestenfalls eins vor zwölf"

Die Weltklimakonferenz in Kopenhagen naht. Nicht nur Naturwissenschaftler drängen die Staatengemeinschaft zu energischem Handeln, auch Wirtschaftsethiker wie Johannes Wallacher vom Institut für Gesellschaftspolitik an der Münchner Jesuitenhochschule für Philosophie. Er sagt, es sei nicht mehr fünf vor zwölf, sondern bestenfalls eins vor zwölf.

 (DR)

KNA: Herr Professor Wallacher, seit Wochen wächst die Skepsis mit Blick auf den Klimagipfel. Gehören Sie auch zu den Pessimisten?
Wallacher: Ich bin verhalten optimistisch. Zuletzt gab es einige positive Signale: Die Russen haben nachgezogen und auch US-Präsident Barack Obama sieht, dass er es sich nicht erlauben kann, ohne konkrete Ziele nach Kopenhagen zu fahren. Es wird zwar keinen detailliert ausgearbeiteten völkerrechtlich bindenden Vertrag geben, aber ich glaube, die Staatengemeinschaft weiß, dass sie ein konkretes Ergebnis braucht.

KNA: Was lässt sich noch erreichen?
Wallacher: Ein verbindliches globales Emissionsminderungsziel und zumindest ein grober Fahrplan dorthin, einschließlich der Zusage verbindlicher absoluter Reduktionsziele der Industrieländer und relativer Ziele seitens der Schwellenländer, wäre ein Erfolg. Alles andere kann im nächsten Jahr nachverhandelt werden.

KNA: Sie haben unlängst vor dem Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung gesprochen.
Wallacher: Mein Thema dort war die Verbindung von Klimawandel und Gerechtigkeit. Knappe Emissionsrechte gerecht zu verteilen ist wichtig, reicht aber nicht. Ein Bild zur Verdeutlichung: Zehn Personen sind in der Wüste, und ihre Wasservorräte sehr begrenzt.
Zwei Drittel sind schon leergetrunken, und zwar mehrheitlich von drei Personen. Jetzt wollen die sieben anderen den Löwenanteil vom Rest. Man streitet und kommt nicht weiter. Meine Empfehlung wäre ein
Perspektivwechsel: Die zehn sollten möglichst schnell loslaufen, um die nächste Oase zu erreichen.

KNA: Wo wäre die?
Wallacher: Die Oase ist etwas Umfassenderes als der Einstieg in eine kohlenstoffarme Energieversorgung: Alle Menschen, die heute schon leben und die künftigen Generationen, brauchen ausreichende Optionen, um menschenwürdig zu leben.

KNA: Warum ist es so schwierig, Klimaschutzmaßnahmen mit Armutsbekämpfung zu verknüpfen?
Wallacher: Es gibt ein grundsätzliches Dilemma: Die Generationengerechtigkeit gebietet, einen größeren Klimawandel mit einer Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur von mehr als zwei Grad zu vermeiden. Andererseits haben viele Entwicklungsländer Nachholbedarf. Und historisch hat sich gezeigt, dass Wirtschaftswachstum bisher immer mit deutlich mehr Kohlendioxidausstoß einherging. Das heißt: Die ärmeren Länder werden Emissionsminderungszielen nur zustimmen, wenn dadurch ihr Spielraum für Entwicklung nicht eingeschränkt wird.

KNA: Welche Rolle spielt die Wirtschaftskrise in der Debatte?
Wallacher: Dieses Thema hat alles andere an den Rand gedrängt.
Andererseits haben wir dadurch etwa zwei Jahre zum Handeln gewonnen, weil sehr viele Investitionen in Energieversorgung und Infrastruktur aufgeschoben wurden, vor allem in den Schwellenländern. Um diese jetzt in die richtige Richtung zu lenken, sind klare Signale für das Ziel einer emissionsfreien Wirtschaft nötig. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit.

KNA: Können kirchliche Wortmeldungen zu diesem globalen, komplexen Thema etwas bewirken?
Wallacher: Um diese politischen Ziele zu erreichen und gesellschaftliches Bewusstsein zu ändern, braucht es ein breites Bündnis von "Agenten des Wandels". Da spielen die Kirchen eine ganz wichtige Rolle. In der jüngsten Sozialenzyklika des Papstes spielte der Klimaschutz leider nur eine sehr nachgeordnete Rolle. Umso mehr freut mich, dass Benedikt XVI. das Thema jetzt zum Weltfriedenstag am 1. Januar ins Zentrum seiner Botschaft rückt.

KNA: Wie ernst ist die Lage?
Wallacher: Die bisher maßgeblichen Berichte des Weltklimarates haben einen wissenschaftlichen Konsens formuliert, der eher vorsichtigere Aussagen über die Erderwärmung macht. Neueste Forschungsergebnisse haben die Prognosen teilweise deutlich nach oben korrigiert. Es ist höchste Zeit zu handeln. Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, sondern bestenfalls eins vor zwölf. Das heißt: In den nächsten zehn Jahren können wir den Klimawandel noch zu verträglichen Kosten gestalten.
Jedes spätere Handeln würde deutlich teurer werden.

KNA: Warum?
Wallacher: Es gibt Effekte beim Klima, die funktionieren wie ein Kippschalter, der, einmal umgelegt, kaum mehr rückgängig zu machen ist. Steigen die Temperaturen weltweit über ein bestimmtes Niveau, so riskieren wir, dass Regenwälder oder Weltmeere keinen Kohlenstoff mehr binden, sondern anfangen, selber Kohlenstoff auszustoßen - mit verheerenden Folgen. Bei einem Abschmelzen des grönländischen Eises wird mit einem um sieben Meter höheren Meeresspiegel gerechnet. Was das für dicht besiedelte Küstenländer wie Bangladesch bedeutet, kann sich jeder ausmalen.

KNA: Der Kanzlerin wurde schon der Vorwurf gemacht, sie würde mit dem Klimaschutz nur kokettieren. Wie sehen Sie ihre Rolle?
Wallacher: Als ehemalige Umweltministerin kennt sie die ganze Geschichte der Klimaschutzverhandlungen. Zum anderen weiß sie als Physikerin über die Folgen des Klimawandels genau bescheid. Wie kaum ein anderer Politiker hat sie das Thema auf der internationalen Agenda durchgeboxt. Auf sie wird es in Kopenhagen ganz stark ankommen.

Das Gespräch führte Christoph Renzikowski.