Vielen US-Bürgern fehlt es am Nötigsten, auch an "Thanksgiving"

Truthahn aus der Armenküche

In den USA ist das heutige "Thanksgiving", das Erntedankfest, eine unumstößliche Tradition: Familie und Freunde versammeln sich um den Esstisch bei Truthahn, Süßkartoffeln, Preiselbeersauce, Kürbiskuchen. Mehr als 45 Millionen Truthähne werden am Donnerstag gebraten. Doch für immer mehr US-Amerikaner fällt das Festmahl karg aus, sie können sich keinen eigenen "turkey" leisten. Ihnen fehlt es schon im Alltag am Nötigsten.

Autor/in:
Konrad Ege
 (DR)

Viele Familien müssten sich an «Thanksgiving» und Weihnachten auf schwere Tage einstellen, sagt Jan Pruitt, Direktorin der «Nord Texas Food Bank» in Dallas. Die Hilfsorganisation beliefert mehr als tausend Suppenküchen, Tafeln und Notunterkünfte mit gespendeten Lebensmitteln. Die Zahl der Bedürftigen habe sich im vergangenen Jahr um 36 Prozent erhöht, sagt Pruitt. Ähnliches berichten nach Angaben des Dachverbands «Feeding America» landesweit fast alle Hilfsorganisationen zur Hungerbekämpfung.

Hunger ist in den USA wieder auf der politischen Agenda. 17 Millionen US-Haushalte hätten im vergangenen Jahr unter «Lebensmittelunsicherheit» gelitten, vier Millionen mehr als 2007, teilte Landwirtschaftsminister Tom Vilsack jüngst mit. Das entspricht 14,6 Prozent aller Haushalte in den Staaten und somit insgesamt 49 Millionen Menschen. Noch nie seien es so viele gewesen, sagte Vilsack. Die Betroffenen hätten nur «begrenzten oder nicht gesicherten» Zugang zu ausreichender Nahrung.

Die Rezession habe das Problem verschärft, aber auch sichtbarer gemacht, erklärt David Beckmann, Präsident des Hilfsverbandes «Brot für die Welt» in den USA. Angesichts der auf 10,2 Prozent gestiegenen Arbeitslosenquote seien die neuen Zahlen nicht überraschend. Alarmierend seien aber die Daten über Kinder. Fast ein Viertel der US-amerikanischen Kinder sind nach dem Ministeriumsbericht 2008 in Familien aufgewachsen, die nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt sind. Das sind 4,3 Millionen mehr als im Jahr zuvor.

Auch ein für Haushaltsfragen zuständiger Ausschuss des US-Kongresses hat sich inzwischen mit dem Hunger befasst. Natürlich erlebten die Notleidenden in den USA keine extremen Hungersymptome wie die in den ärmsten Ländern, sagt der Abgeordnete James McGovern. Wegen staatlicher und karitativer Hilfsprogramme bestehe ein gewisses Sicherheitsnetz. Aber es gebe Unterernährung wie auch Fehlernährung und Übergewicht. Die Ärmsten griffen häufig zu billiger, kalorienreicher Nahrung.

Am härtesten sind Familien betroffen, die schon vor der Rezession wenig Geld hatten. Das seien überproportional Alleinerziehende und Afro-Amerikaner, erklärt Seth Wessler, Wirtschaftsexperte des Forschungsinstituts «Applied Research Center» in New York. Aber der Hunger reicht immer tiefer in die Gesellschaft hinein. Jan Pruitt betont, früher habe man vor allem Familien mit Niedriglöhnen unter die Arme gegriffen. Jetzt kämen auch Ingeneure und leitende Angestellte, die ihre Jobs und oft auch ihre Wohnungen verloren hätten.

Ähnliche Erfahrungen macht eine Hilfsorganisation in Milpitas im kalifornischen Silicon Valley. 40 Prozent ihrer Kunden seien Familien, in denen ein Partner seinen Job verloren habe, sagte Karen Kolander von der «Milpitas Food Pantry» in der «San Jose Mercury News». Diese «halbarbeitslosen» Familien müssten oft einen Großteil des Einkommen für die Hypothekzahlungen aufbringen. Nach Angaben des Bankenverbandes können 14,4 Prozent der Hausbesitzer mit Hypotheken ihre Zahlungen nicht mehr termingerecht leisten.

Präsident Barack Obama setzt auf Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Dies sei der wichtigste erste Schritt gegen den zunehmenden Hunger. Anfang 2010 plant das Weiße Haus einen «Job-Gipfel» mit Unternehmen, Gewerkschaften und Wirtschaftsexperten. Die Regierung hat auch Hilfsprogramme verstärkt. Gegenwärtig beziehen 36,5 Millionen Menschen staatliche Lebensmittelhilfe, 24 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Abgeordnete Gwen Moore, eine ehemalige Sozialhilfeempfängerin, spricht sich für verbesserte Sozialprogramme aus.

Auf Truthahn und Preiselbeeren müssen allerdings auch die Armen nicht ganz verzichten. Zu den Bräuchen an «Thanksgiving» gehört, dass Kirchen, Synagogen, Moscheen und selbst Feuerwehren und Restaurants auf Hochtouren kochen und backen für Bedürftige. In einer Stadt wie Washington könnte man so am Donnerstag wohl mehrere kostenlose «Thanksgiving»-Mahlzeiten genießen. Auch wenn zu Hause Regale und Kühlschrank leer sind.