Ein Münchner Pater wäre vor 20 Jahren fast auch ermordet worden

"Das Martyrium ist der Same für engagiertes Christsein"

Er war ganz in der Nähe, als am 16. November 1989 in San Salvador sechs Jesuiten bestialisch ermordet wurden. Der Münchner Pater Martin Maier entkam dem Komplott nur durch einen Zufall. Der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erzählte er von dem Verbrechen, das die Wende im salvadorianischen Bürgerkrieg einleitete, aber nie strafrechtlich geahndet wurde.

 (DR)

KNA: Pater Maier, Sie waren vor 20 Jahren zu einem längeren Studienaufenthalt an der Jesuitenuniversität in San Salvador. Wieso blieben Sie verschont?
Maier: Eigentlich hätte ich auch an der Universität leben und arbeiten sollen. Aber wie ich dort ankam, waren alle Gästezimmer belegt, so dass ich in einem Haus zehn Minuten Fußweg entfernt einquartiert wurde.

KNA: Kannten Sie alle Getöteten persönlich?
Maier: Ja. Der Bekannteste von ihnen war Universitätsrektor Ignacio Ellacuria, ein herausragender Theologe und Berater des schon 1980 ermordeten Erzbischofs von San Salvador, Oscar Romero. Ein Spezialkommando der Armee hatte den Befehl, Ellacuria umzubringen und keine Zeugen am Leben zu lassen. Die Guerilla hatte kurz zuvor eine Offensive in der Hauptstadt begonnen. In dieser explosiven Lage sorgten sich die Jesuiten um ihre Köchin und deren Tochter. Man riet ihnen, in dieser Nacht nicht nach Hause zu gehen. Als die Soldaten die Frauen antrafen, waren sie zunächst unschlüssig. Sie funkten den stellvertretenden Verteidigungsminister an, der dann den Befehl gab, auch sie umzubringen.

KNA: Warum kam es zu dem Massaker?

Maier: Der Jesuitenorden hatte sich bereits Mitte der 1970er Jahre entschieden, für Glaube und Gerechtigkeit einzutreten. Das brachte ihn in El Salvador in die Schusslinie. Die Kaffeebarone hatten kein Interesse an sozialen Veränderungen. Wer diese trotzdem beförderte, wurde als Kommunist gebrandmarkt und war damit Freiwild. Dem Bürgerkrieg fielen mehr als 75.000 Menschen zum Opfer. Die meisten Toten gingen auf das Konto von Todesschwadronen, die, wie sich bei den Jesuitenmorden zeigte, gemeinsam mit der Armee operierten.

KNA: Mit den Morden sollte die Kirche, insbesondere Ihr Orden, unter Druck gesetzt werden. Ist dieser Plan aufgegangen?
Maier: Schon nach dem ersten in El Salvador getöteten Jesuiten, Pater Rutilio Grande, im Jahr 1977 wurde der Orden bedroht. Alle seine Mitglieder sollten das Land verlassen, sonst würden sie einer nach dem anderen umgebracht, hieß es damals. Doch unser Generaloberer Pedro Arrupe ließ sich davon nicht abschrecken, im Gegenteil: Er sah dies als Bestätigung für den eingeschlagenen Weg.

Ordensintern lösten die Morde eine Welle der Solidarität aus. Mehr als 40 Jesuiten meldeten sich freiwillig, um den Dienst der Getöteten fortzusetzen.

KNA: Wie wirkte sich der 16. November 1989 auf den Fortgang des Bürgerkriegs in El Salvador aus?
Maier: Der «Fall der Jesuiten», wie er genannt wurde, war entscheidend für das Zustandekommen der Friedensverhandlungen. Zuvor war es nie gelungen, öffentlich zu beweisen, dass hinter der großen Mehrzahl der Menschenrechtsverletzungen die Armee steckt. Das war jetzt klar. Begangen wurden die Morde von einem Elitebataillon, das von US-Militärberatern ausgebildet worden war. Einer dieser Berater wusste auch von dem Komplott, ohne etwas dagegen zu tun. In den Vereinigten Staaten gab es damals einen Aufschrei: «Unsere Regierung unterstützt eine Armee, die Priester ermordet.» Das blieb nicht ohne Folgen. Das Ergebnis waren 1992 umfassende Friedensverträge.

KNA: Juristisch steht eine Aufarbeitung der Bluttat noch aus. Gibt es dafür noch eine Chance?

Maier: Nach der überstürzten Generalamnestie von 1993 gab es immer wieder Appelle an die Regierung El Salvadors, den Fall neu aufzurollen - ohne Erfolg. Doch jetzt bestehen neue Aussichten. Seit Juni hat das Land zum ersten Mal eine Linksregierung. Präsident Mauricio Funes hat an der Jesuitenuniversität studiert und war mit Ellacuria persönlich verbunden. Die ermordeten Jesuiten erhalten zu ihrem 20. Todestag posthum eine hohe staatliche Auszeichnung. Das wäre früher undenkbar gewesen.

KNA: Ist die Erinnerung an die Ermordeten lebendig?

Maier: Jedes Jahr findet an ihrem Todestag eine Nacht des Gedenkens statt mit Gebeten, Liedern, Filmvorführungen. Da kommen mehr als 10.000 Menschen aus dem ganzen Land in die Universität. Dieses Jahr werden es noch mehr sein. Heute gibt es Städte, die die Namen der Ermordeten tragen. In ihnen wurden Bürgerkriegsflüchtlinge wiederangesiedelt.

KNA: Sie sind nach wie vor regelmäßig in San Salvador. Wie sehr berührt Sie das Geschehen vor 20 Jahren dort heute?

Maier: Wenn ich in San Salvador theologische Vorlesungen halte, führt der Weg von meinem Zimmer in den Hörsaal am Tatort vorbei. In dem Garten, wo meine Mitbrüder umgebracht wurden, blühen heute Rosen. In der Universitätskirche sind sie beerdigt. Insofern begleitet mich die Erinnerung an das, was geschehen ist, täglich.

Das ist aber nichts, was mich belastet oder traurig macht. Es inspiriert mich. Das gehört zum Geheimnis des Martyriums: dass es Same ist für engagiertes Christsein.

Das Interview führte Christoph Renzikowski.