Patriarch Pavle I. von Belgrad starb mit 95 Jahren

Vater der Serben - Stimme gegen Gewalt

Seit 1990 stand er an der Spitze seiner Kirche, und er musste sie durch eine Reihe äußerst schwieriger Phasen steuern: die Herrschaft von Slobodan Milosevic, den Zerfall Jugoslawiens, die NATO-Angriffe und die bis heute nicht beigelegte Kosovo-Krise. Am Sonntag ist Patriarch Pavle I. von Belgrad, Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche, nach langer Krankheit im Alter von 95 Jahren in einem Belgrader Militärkrankenhaus gestorben.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Seine geistliche Autorität gewann der kleingewachsene, hagere Mönch auch durch seinen asketischen Lebensstil. Seine sprichwörtliche «Volksnähe» bedeutete ihm auch, die Anliegen seiner Kirche und des serbischen Volkes zu wahren - was ihm, einem eher unpolitischen Geistlichen, den Vorwurf politischer Einseitigkeit und fehlender Distanz zum Milosevic-Regime eintrug.

Tatsächlich sprach sich Pavle I. während der Jugoslawien-Kriege - auch gegen Stimmen aus der eigenen Synode - immer wieder gegen gewaltsame Lösungen aus. Mehrmals forderten serbisch-orthodoxe Bischöfe seinen Rücktritt, besonders als er das Friedensabkommen von Dayton 1995 unterstützte. Gleichwohl brachten die enge Verbindung von Serbentum und Orthodoxie und der traditionelle Anspruch, die Serben müssten für ihr Überleben mit einer Stimme sprechen, die Kirche unter ihrem Patriarchen Pavle fast zwangsläufig in die politische Spur der serbischen Führung.

Gojko Stojcevic, so sein bürgerlicher Name, wurde am 11. September 1914 im slawonischen Kucani im heutigen Kroatien, geboren. In Tuzla und in Belgrad besuchte er das Gymnasium; seine theologische Ausbildung erhielt er in Sarajevo und Belgrad. 1948 begann er sein Leben als Mönch im Kloster Raca und nahm den Namen Pavle an. Seit 1950 lehrte er im Priesterseminar in Prizren. Nach seiner Priesterweihe 1954 studierte er in Athen weiter.

Nach seiner Rückkehr war er für 33 Jahre Bischof von Raska-Prizren im Kosovo - bis zum 1. Dezember 1990, seiner Wahl zum «Erzbischof von Pec, Metropoliten von Belgrad-Karlovci und serbischen Patriarchen», so der volle Titel. Mit der Absetzung seines Vorgängers German - wegen «fehlender Volksnähe» - wurde Pavle der 44. Nachfolger des heiligen Sava auf dem serbischen Patriarchenstuhl.

Berühmt und gerühmt waren über die Konfessionsgrenzen hinaus Pavles einfacher Lebensstil und seine Bescheidenheit. So ging der Patriarch möglichst viele Weg zu Fuß oder legte sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Auf die Frage, warum er kein Auto wolle, meinte er einmal, er werde erst eines kaufen, wenn jeder Haushalt im Kosovo eines habe.

Pavle I. trat für ein demokratisches System ein - und pflegte gleichzeitig ein enges Verhältnis zum serbischen Erbprinzen Aleksandar Karadjordjevic, dem Sohn des letzten jugoslawischen Königs Peter II., der 2001 nach Belgrad zurückkehren konnte. So verwunderte es nicht, dass sich das serbische Kirchenoberhaupt im November 2003 für eine konstitutionelle parlamentarische Monarchie in Serbien-Montenegro aussprach. Alle europäischen Demokratien, die das System der parlamentarischen Monarchie bewahrt hätten, seien Beispiele «fortschrittlicher Staaten» und «echter Demokratie».

Nicht mehr gelungen ist Pavle I. eine Aussöhnung mit der mazedonischen Orthodoxie, die sich 1967 von Belgrad für unabhängig erklärte. Die serbische Kirche akzeptiert die Abspaltung bis heute nicht. Von seiner ökumenisch offenen Haltung ließ sich der Patriarch bis zuletzt nicht abbringen. Mehrmals erklärte er sich bereit, Papst Johannes Paul II. (1978-2005) in Belgrad zu empfangen - die Begegnung kam nicht zustande.

In den kommenden Wochen hat die serbisch-orthodoxe Kirchenleitung nun ein neues Oberhaupt von rund 7,5 Millionen Gläubigen zu wählen - und damit auch ihren weiteren politischen Kurs zu bestimmen. Bereits Ende 2007 erhielt Pavle I. mit Metropolit Amfilohije von Montenegro und Primorje (71) einen sogenannten Vikar zur Unterstützung. Nach dem serbisch-orthodoxen Kirchenrecht bedeutet das keine Vorentscheidung für die Nachfolge. Ein aussichtsreicher Kandidat dürfte der als nationalkonservativ geltende Amfilohije dennoch sein.