Der Spätaussiedler wird des rassistisch motivierten Mordes an der 31-jährigen Ägypterin Marwa El-Sherbini und des Mordversuchs an ihrem Ehemann beschuldigt. Am Wochenende wurde ein im Internet kursierender Aufruf bekannt, in dem zur Ermordung des Täters aufgerufen wurde.
Neben Dutzenden deutschen Journalisten berichten auch russische und ägyptische Medien. Der Witwer Elwi Okaz und weitere Familienmitglieder des Opfers begleiten den Prozess als Nebenkläger.
Auf dem 28-jährigen Spätaussiedler Alex W., der 2003 nach Deutschland kam, lastet ein schwerer Druck. Obwohl er längst auf einem Foto in den Medien zu sehen war, erscheint er im Verhandlungssaal vermummt. Er weigert sich, die Sonnenbrille abzusetzen. Die Vorsitzende Richterin Birgit Wiegand mahnt ihn, "die Würde des Gerichts zu wahren". Als das nichts hilft, verhängt sie ein Ordnungsgeld von 50 Euro. Auch die Fragen nach seiner Identität will der im russischen Perm geborene Alex W. nicht beantworten.
In den voraussichtlich zweieinhalb Wochen der Verhandlung wird es im Landgericht aus Sicherheitsgründen weder Besucherverkehr noch andere Prozesse geben. Selbst die Kantine ist geschlossen.
Ungewöhnlich sind nicht nur die Sicherheitsvorkehrungen und die internationale Aufmerksamkeit. Neu ist für das Gericht auch, dass Prozess- und Tatort identisch sind.
Alex W. verübte seine blutige Tat mitten in einer Verhandlung am Landgericht. Er und Marwa El-Sherbini standen sich am 1. Juli in einem Berufungsprozess wegen Beleidigung gegenüber. Der Russlanddeutsche, der meist von Hartz IV lebte, hatte die moslemische Frau und ihren kleinen Sohn 2008 auf einem Spielplatz antiislamisch und ausländerfeindlich beschimpft und bedroht. Daraufhin erhielt er eine Anzeige.
In erster Instanz erteilte das Amtsgericht Alex W. eine Geldstrafe. In der Berufungsverhandlung stürmte er dann unvermittelt auf die im dritten Monat Schwangere zu. Der Witwer Elwi Okaz, der noch immer an Krücken geht, schildert die dramatischen Minuten am ersten Verhandlungstag als erster Zeuge. Demnach hatte seine Frau gerade ihre Zeugenaussage beendet, als Alex W. völlig überraschend auf sie zustürmt. Zunächst sieht es nach Schlägen aus, die der Täter austeilt.
Doch dann hat er ein Messer in der Hand. Es kommt zum Tumult, ein herbeieilender Polizist schießt Okaz aus Versehen ins Bein, weil er ihn für den Täter hält. Später bleibt der Ehemann, der als Doktorand nach Dresden kam, bewusstlos am Boden liegen. Seine Frau, die mindestens 16 Messerstiche erhält, stirbt am Tatort. Zu den Zeugen der brutalen Bluttat zählt damals der kleine Sohn des Paares.
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wird am ersten Tag schnell verlesen. Sie beschuldigt Alex W., mit "großer Wucht" abwechselnd auf Marwa El-Sherbini und ihren 32-jährigen Ehemann Elwi Okaz eingestochen zu haben. Als Tatmotiv gilt "Hass auf Nichteuropäer und Moslems". Oberstaatsanwalt Frank Heinrich trägt die lange Liste der schwersten Verletzungen der Opfer vor. Er sieht die Merkmale der Heimtücke und der niederen Beweggründe als erfüllt an.
Angesichts der vielen Zeugen dürften die Beweise gegen Alex W.
erdrückend sein. Verteidiger Michael Sturm sucht deswegen nach anderer Entlastung für seinen Mandanten. Eine Rolle könnte der psychische Zustand des Russlanddeutschen im Augenblick der Tat spielen. Zur Prozesseröffnung stellte Sturm mit einem Befangenheitsantrag außerdem die Urteilsfähigkeit der Richter in Frage. Er sieht eine zu große Nähe der Kammer zum Tatort. Der zweite Verteidiger, Veikko Bartel, will die Verhandlung aufgrund der äußeren Gefährdung kippen. Doch beide Anträge werden als unbegründet zurückgewiesen.
Alex W. sitzt am ersten Verhandlungstag meist starr auf seinem Platz. Zusätzlich zur Sonnenbrille verdeckt er sein Gesicht mit den Händen oder seiner Jacke. Zu sich und zur Tat will er sich vorerst nicht äußern. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft droht ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe. Das Prozessende ist für den 11. November vorgesehen, einen Tag vor seinem 29. Geburtstag.
Dresdner Landgericht verhandelt seit Montag über die tödliche Messerattacke auf eine Ägypterin
Prozess im Hochsicherheitstrakt
Es ist ein bislang einmaliger Prozess. Rund 200 Polizisten lassen das Landgericht in Dresden als Hochsicherheitstrakt erscheinen. Sie kontrollieren Ausweise, stöbern in Taschen und stellen Fragen nach dem Gepäck. Sogar die Schuhe müssen zur Begutachtung ausgezogen werden. Im Prozess gegen den Russlanddeutschen Alex W. soll nicht noch einmal etwas schiefgehen.
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