Sicher ist es unter anderem auch die Fülle an Material, die bis dato die Vorlage einer modernen und wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Kölner Stadtgeschichte verhindert hat. Seit einigen Jahren ist dies nun auf einem guten Weg. Einen dritten, zentralen Band dieses auf 13 Bände angelegten monumentalen Werkes hat am Montag der Kölner Professor Horst Matzerath über die Zeit des Nationalsozialismus vorgelegt.
Es ist nicht ohne Brisanz, dass immer noch Zeitzeugen dieses unrühmlichsten Kapitels deutscher Geschichte leben. Denn der Kölner liebt die Selbststilisierung - und wird deshalb so manches nicht ganz so gerne hören, was ihm Matzerath ins 658 Seiten dicke Stammbuch geschrieben hat. Die Leitfrage, die der langjährige Direktor des Kölner NS-Dokumentationszentrums stellt, ist die Überprüfung der wohlgehegten Adenauer-These, dass in Köln das alles doch ein bisschen anders, ein bisschen ungehorsamer und widerständischer gelaufen sei. "Mer kunnt sich jo noh 1945 kaum vor all dänne rette, die nie dobei gewäse sin wollte, un vor dänne, die schon immer dojäje gewäse sin wollte", wird ein Kölner Zeitzeuge zitiert. Und überhaupt sieht man die NS-Zeit gerne als eine Art Intermezzo einer ansonsten ungebrochenen Tradition.
Die Antwort, die Matzerath gibt, ist so differenziert wie unbequem:
Ja, es gab gewisse Unterschiede, was einzelne Phänomene und Gruppierungen angeht. Doch vor allem, nein: In den Grundlinien verliefen Machtergreifung, Unterstützung und Widerstand aus der Bevölkerung in den normalen Bahnen dieser so ganz unnormalen deutschen Jahre.
Die christlichen Kirchen im traditionell "heiligen Köln"
Das gilt auch für die christlichen Kirchen im traditionell "heiligen Köln". In mehreren Kapiteln analysiert Matzerath die Prägekraft und Tragfähigkeit des christlichen Milieus, Wahlverhalten und Kirchenaustrittszahlen von Katholiken und Protestanten nach der "Machtergreifung". Vor allem für die Protestanten, deren Zahl seit dem 19. Jahrhundert durch Preußenherrschaft, Industrialisierung und Zuwanderung im katholisch dominierten Köln stark zugenommen hatte, fällt das Ergebnis, was Zulauf und Unterstützung der Nationalsozialisten in der Anfangszeit angeht, wenig schmeichelhaft aus - eine Begeisterung, die allerdings schnell abebbte.
Doch auch viele Katholiken, vor allem auf dem rechten, deutschnationalen Flügel, waren zunächst offenbar bereit, sich mit der neuen "Bewegung" zumindest zu arrangieren. Begünstigt wurde dies durch den Abschluss des Reichskonkordates. Überhaupt bestimmte, so Matzerath, nicht politischer Widerstand, sondern ein "unvereinbarer Gegensatz in den weltanschaulichen Grundlagen und Zielen" das Verhältnis von katholischer Kirche und dem Nationalsozialismus mit seinem Führerkult. So entstand im Kölner Generalvikariat unter der Leitung von Domvikar Josef Teusch (später die rechte Hand von Kardinal Frings) eine "Abwehrstelle" gegen die antichristliche NS-Propaganda.
Ausführlich behandelt Matzerath freilich auch die konkreten Ausdrücke des Andersdenkens vieler und auch des - für den Betreffenden gefährlichen - Widerstands einiger weniger. Täter, Mitläufer und Opfer des menschenverachtenden NS-Systems; seine Funktionsweisen und gesellschaftlichen Ausdrücke in Wirtschaft, Kultur und Sport; seine bedrückenden Folgen für die Kölner und ihre Stadt; die Rückbesinnung auf Kirche und "alte Werte" nach 1945: All das beleuchtet der vorliegende Band anschaulich und - sein größter Verdienst - höchst sachlich.
Hinweis: Horst Matzerath: Köln in der Zeit des Nationalsozialismus
1933-1945 (Geschichte der Stadt Köln, herausgegeben von Werner Eck und Hugo Stehkämper, Bd. 12), Greven Verlag, Köln 2009, 658 S., geb., 60 Euro.
Horst Matzeraths monumentale Kölner Stadtgeschichte der NS-Zeit
Im Westen nichts anders
Am 3. März 2009 ereilte Köln ein Kulturverlust, den andere deutschen Städte bereits durch barocke Großbrände oder Fliegerangriffe im Zweiten Weltkrieg erlitten hatten: der Einsturz des Stadtarchivs. Die Arbeit an einer monumentalen geschriebenen Geschichte der Stadt schreitet dennoch voran.
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