Die Legende von einer Deutschen auf dem Stuhl Petri

Wir sind nicht Päpstin

Die Geschichte ist doch zu schön, um nicht wahr zu sein: Das Mädchen vom Mittelrhein, wissbegierig, gewitzt und androgyn, schleicht sich im 9. Jahrhundert ins Männerkloster ein. Die dort gebotenen Chancen auf Bildung und Karriere ergreifend, gelangt sie nach Rom und täuscht dort über Jahre die Kirchenleitung: als Ordensmann, Heiler - und schließlich Papst!

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Was für eine Geschichte, was für ein Erzähl- und Tratsch-Stoff. Viele Deutsche halten sie für bare Münze, und ihre Zahl wird mit dem Kinostart von Sönke Wortmanns Romanverfilmung am kommenden Donnerstag wohl noch steigen. Dabei bleibt die Päpstin, als was sie die Fachwelt längst erkannt hat:
eine effektvolle Legende des 13. Jahrhunderts.

Wie trefflich sich streiten und polemisieren lässt, auf hohem historischen und auf Strickstrumpf-Niveau, war 1996 zu erleben, als der Erstlingsroman der New Yorker Autorin Donna Woolfolk Cross die Bestsellerlisten stürmte und einen regelrechten Medien-Hype auslöste. Kirchenkritik funktioniert oft als Pawlowscher Reflex, den man leicht auslösen kann. Etwa mit Klappentext-Sätzen wie «das Leben der Johanna von Ingelheim, deren Existenz bis ins 17. Jahrhundert allgemein bekannt war und erst dann aus den Manuskripten des Vatikans entfernt wurde». Die Taschenbuchausgabe untermauert das mit einem Zitat aus der «Brigitte», wo es heißt: «ein historisch glaubwürdiges Beispiel einer unglaublichen Emanzipationsgeschichte».
Der Mittelalter-Historiker Horst Fuhrmann taxiert den wissenschaftlichen Wert des Romans dagegen auf den «von Asterix und Obelix».

«Denen im Vatikan» die immer alte Vertuschung vorzuwerfen, dafür taugt der Stoff allemal. Als Propaganda-Waffe hat die Johanna-Geschichte zu allen Zeiten hervorragend funktioniert - allerdings auch in die andere Richtung: Denn das Ende der Johanna, von dem der Chronist und Dominikaner Martin von Troppau 1277 berichtet, ließ sich auch bestens als eine Parabel für die angestammte Rollenverteilung in der Gesellschaft verwenden: Die Päpstin tut, was eben der Natur der Frau entspricht; sie gibt sich einem Mann hin, wird schwanger und gebiert - ausgerechnet während einer Prozession nahe der Kirche San Clemente. Sie stirbt in der Gosse wie eine Hure; gerechte Strafe Gottes für ihren Täuschungsversuch?

Belege für oder gegen die Existenz einer Päpstin anzuführen, ist angesichts der dürftigen Quellenlage des 9. Jahrhunderts ein mühsames Geschäft, bei dem man fast zwangsläufig auf große Lücken und sachliche Widersprüche stößt. Und wer mag die sperrigen Konvolute der Fachhistoriker denn am Ende wirklich gedanklich nachvollziehen? Wohlfeiler ist es, aus einem Schweigen der Quellen zu folgern, alle Beweise für den Skandal seien beseitigt worden. Das allerdings wäre dann erstaunlich vollständig gelungen.

Die Johanna-Geschichte wurde über die Jahrhunderte immer weiter ausgeschmückt - vielleicht gerade weil keinerlei Belege vorhanden waren. «Möglicherweise», so der Erlanger Professor Klaus Herbers, Experte für die Papstgeschichte des 9. Jahrhunderts, «entzieht sich die Legende auch in manchen Punkten einer Erklärung, weil man im Mittelalter wie heute in der Lage war, ohne präzisen Hintergrund und ohne konkreten Anlass einen Skandal oder eine skandalöse Geschichte zu erfinden.»

Anders gesagt: Mit den vorhandenen Quellen dürfte es schwierig sein, jemanden, der etwas Bestimmtes glauben möchte, vom Gegenteil zu überzeugen. Tatsächlich gab es ja an Manipulationen kirchlicher Dokumente und Darstellungen im Mittelalter keinen Mangel. So gleicht die Diskussion um Johanna - auch Jutta, Gilberta, Agnes oder Glancia genannt - einem Streit um der Päpstin Bart. Die Deutschen mögen sich an Sönke Wortmann, am Wunder von Bern und an Benedikt XVI. freuen.
Schließlich sind wir Papst - Päpstin aber nicht.

Hinweis: Kritische Forschungsüberblicke bieten etwa Klaus Herbers im Historischen Jahrbuch 108 (1988), S. 174-194, sowie Elisabeth
Gössmann: Die Päpstin Johanna. Der Skandal eines weiblichen Papstes, 1994.