Prager Kardinal Vlk zu seinen Erwartungen an den Papstbesuch

"Den Kommunismus noch in den Köpfen"

Benedikt XVI. besucht ab Samstag mit Tschechien einen jungen EU-Staat, in dem die Kirche nach den Jahrzehnten des Kommunismus um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen muss. Im Interview zeichnet der Prager Kardinal Miloslav Vlk ein kritisches Bild der sozialen Wirklichkeit Tschechiens und spricht über seine Erwartungen an den Papstbesuch.

Autor/in:
Hans-Jörg Schmidt
 (DR)

KNA: Herr Kardinal, die Kirche hat vor 1989 wesentlich zum Sturz des Kommunismus beigetragen: Aber die Hoffnung in Ihrem Land auf ein Anwachsen der christlichen Gemeinde hat sich danach nicht erfüllt.
Ist das Gedenken an den Sturz des Kommunismus vor 20 Jahren deshalb nicht etwas zwiespältig?
Vlk: Es gab ein enges Zusammengehen der Kirche und der Dissidenten.
Nach der Revolution hat die tschechische Gesellschaft aber einen Weg eingeschlagen, der für uns nicht gangbar war. Es ging nur um den wirtschaftlichen Wohlstand, um etwas, was der Kommunismus nicht erreicht hatte. An die Werte, die dazugehören, hat man nicht gedacht. Zudem wollten die neuen Herrschenden die Kirche am Rand der Gesellschaft halten. Sie haben sich teilweise regelrecht feindlich uns gegenüber verhalten.

KNA: Sie selbst haben immer wieder auch eine "moralische Transformation" gefordert. Aber die Kirche generell in Tschechien scheint mir in dieser Frage resigniert zu haben. Oder täuscht der Eindruck?
Vlk: Der Staat hat es uns nicht leicht gemacht, uns in das Leben, in die Entwicklung einzumischen. Aber auch einige Bischöfe waren nicht bereit, sich laut zu bestimmten Dingen zu äußern. Das hängt mit der Erfahrung im Kommunismus zusammen, wo man mehr oder weniger nur im Untergrund wirken und das Evangelium in Abgeschlossenheit leben konnte. Manche haben die Notwendigkeit unterschätzt, Zeugnis des gelebten Glaubens abzulegen. Mittlerweile hat sich das geändert; die Kirche ist offen für die weltlichen Entwicklungen. Vor allem auf kommunaler Ebene arbeiten Kirchengemeinde und Kommune häufig eng zusammen.

KNA: Wie säkularisiert dieses Land ist, kann man in den Medien sehen. Eine Zeitung sah sich gar veranlasst, eine Art Wörterbuch zur Geschichte des Katholizismus und zum Leben der Katholiken heute zu veröffentlichen. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass der Papstbesuch auf diesem sehr steinigen Acker im Weinberg des Herrn Wirkung in der Gesellschaft hinterlässt?
Vlk: Ich hoffe doch sehr, dass die Kirche danach nicht mehr als eine Art Touristenverein angesehen wird, wie wir einst vom heutigen Präsidenten Vaclav Klaus abschätzig genannt wurden. Die Gesellschaft soll begreifen, dass unsere kleine Kirche Teil der großen Weltkirche ist - mit dem Papst als großer Autorität an der Spitze. Das kann unsere Rolle psychologisch stärken. Es ist jetzt im Vorfeld des Besuchs in den tschechischen Medien viel über die Kirche und den Papst geschrieben worden. Das zeugt von einem großen Interesse an diesen Fragen. Ich wünsche mir, dass diese Öffnung uns gegenüber Bestand haben wird, wenn der Papst unser Land wieder verlässt. Wir brauchen die Zusammenarbeit von Staat und Kirche.

KNA: Aus dem Vatikan heißt es, der Papst wolle in Prag keinen Druck ausüben, damit es endlich zur Ratifizierung des Konkordats zwischen Tschechien und dem Vatikan kommt. Verstehen Sie diese Zurückhaltung?
Vlk: Von Seiten des Vatikan ist alles für den Grundlagenvertrag gemacht worden. Mehr geht nicht. Jetzt ist es an der tschechischen Seite, sich dazu zu stellen und den Vertrag zu unterzeichnen. Der Papst wird sich nicht dazu äußern, sicher auch nicht gegenüber Präsident Klaus. Das ist mehr die Rolle von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, wenn er mit Ministerpräsident Jan Fischer zusammenkommt.

KNA: Auch die mühsam erzielte Einigung über die Rückgabe des unter den Kommunisten geraubten Kircheneigentums liegt in Prag auf Eis.
Erhoffen Sie sich in dieser Frage Rückenwind von Benedikt XVI.?
Vlk: Der Papst kennt all diese offenen Fragen, er hat vor einem Jahr auch den Streit um den Veitsdom erwähnt. Aber er will auch hier keinen Druck ausüben. Lassen Sie mich jedoch offen sagen, dass es eine Schande ist, dass diese Fragen 20 Jahre nach dem Ende des Kommunismus immer noch ungelöst sind. Das richtet so viel Schaden an. Natürlich wollen wir als Kirche wirtschaftlich unabhängig vom Staat werden. Aber auch der Staat schadet sich mit seiner Haltung. Er zahlt an uns ja nicht aus seinen Ressourcen, sondern de facto aus dem enteigneten Kirchenbesitz, den er in der Hand hält.
Wir reden hier über 250 Milliarden Kronen (9,9 Milliarden Euro) Schuld, die der Staat hat. Wir haben in den Verhandlungen lediglich
83 Milliarden (3,3 Milliarden Euro) verlangt - und obendrein zugesichert, dass wir 17 Prozent dieser Summe den anderen, nichtkatholischen Kirchen geben. Aber es geht auch nicht nur um Geld. Rund um viele Kommunen findet man kirchliche Liegenschaften, die bis heute blockiert sind. Dort sind den Gemeinden die Hände gebunden, sie können sie schlicht nicht bebauen.

KNA: Sie haben sich mit persönlich großem Einsatz gerade dem Ausgleich zwischen Staat und Kirche gewidmet. Wie tief sitzt die Enttäuschung, dass dieser Kampf immer noch nicht erfolgreich war?
Vlk: Das schmerzt, keine Frage. Aber wissen Sie, ich musste immer kämpfen. Ich habe im Kommunismus gekämpft, und ich habe in der Demokratie gekämpft. Leider in beiden Fällen ohne großen Erfolg.

KNA: Liegt das auch daran, dass in den Köpfen der jetzigen Politiker noch viel von kommunistischer Ideologie zu finden ist?
Vlk: Da sagen Sie etwas sehr Richtiges. Die Leute haben den Kommunismus noch in den Köpfen und in den Herzen, ohne es zu wissen.
Manche Politiker marschieren munter weiter in der alten Weise. Eine Transformation der Gesellschaft kann aber nur gelingen, wenn mit ihr eine Transformation auch der Herzen verbunden ist. Wer dies leugnet, lebt noch in der alten Welt, ohne Visionen; hat keine Sensibilität für das Gemeinwohl, sondern denkt und handelt egoistisch.

KNA: Inwieweit kann der Besuch eines deutschen Papstes in Tschechien das noch immer nicht spannungsfreie Verhältnis der beiden Nachbarvölker auflockern?
Vlk: Die Kirchen auf beiden Seiten waren immer Vorreiter für ein gutes Zusammenleben unserer Völker. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gab es einen Briefwechsel der beiden Bischofskonferenzen. Das sind wirklich wunderschöne Briefe. Die Deutschen haben darin die tschechischen Gläubigen um Verzeihung für die Zeit des Nationalsozialismus und für eine Beteiligung der DDR an der Zerschlagung des Prager Frühlings 1968 gebeten. Wir unsererseits haben um Vergebung für die Nachkriegsvertreibung gebeten.
Beide Seiten haben tatsächlich vergeben. Das war eine große Geste damals und hat einem vielfältigen Dialog den Weg geebnet. Aber es setzte auch eine enge Zusammenarbeit ein, die deutschen Katholiken haben uns sehr geholfen, Kirchen zu erhalten und zu sanieren. Natürlich haben wir gehofft, dass die Politiker uns auf dem Weg der Aussöhnung folgen werden. Doch die haben sich damit schwer getan. Sicher haben wir keine scharfen Auseinandersetzungen mehr zwischen den beiden Staaten. Aber die Aussöhnung muss tiefer gehen.

KNA: In Gesprächen mit Gläubigen war immer wieder Verwunderung darüber zu hören, dass Benedikt XVI. bei seinen öffentlichen Auftritten die deutsche Sprache meiden will. Das halte viele Katholiken aus dem nahen Bayern, Sachsen oder Österreich ab, nach Tschechien zu kommen.
Vlk: Diese Entscheidung kam nicht vom Papst. Wir sind als Bischofskonferenz in dieser Frage konsultiert worden. Und wir waren der Ansicht, dass vor allem die jüngere Generation bei uns heute mehr Englisch als Deutsch spricht. Das hat nichts mit den Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen zu tun. Wir haben das mit Sicherheit weder so gemeint noch so gewollt.