Vor 25 Jahren reichten sich Kanzler Kohl und Präsident Mitterrand in Verdun die Hände

"Wir sind Freunde geworden"

Am 22. September 1984 ist der Himmel über Verdun bleigrau. Ebenso dunkel die Erinnerungen: Das Städtchen in Nordfrankreich gedenkt der Schlacht, die hier vor 68 Jahren stattfand. Doch diese Gedenkstunde ist anders als die vielen Mahnfeiern zuvor.

Autor/in:
Isabel Guzmán
 (DR)

Zwei Männer treten vor, der französische Staatspräsident François Mitterrand und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl. Als erster deutscher Regierungschef überhaupt nimmt Kohl an einer französischen Weltkriegs-Gedenkfeier teil. Vor den Grabreihen fassen die Staatsmänner sich an den Händen und stehen minutenlang so da, regungslos.

Verdun war während des Ersten Weltkrieges Schauplatz unvorstellbarer Schrecken. 700.000 französische und deutsche Soldaten fanden innerhalb von zehn Monaten den Tod.

Handschlag mit ungeheurer Symbolkraft
25 Jahre später hat das Bild vom Handschlag der beiden immer noch ungeheure Symbolkraft. Ebenso wie ihre feierliche Erklärung: "Frankreich und Deutschland haben die Lehren aus der Geschichte gezogen ( ) Wir haben uns versöhnt, wir haben uns verständigt, wir sind Freunde geworden." Auch wenn einige Kritiker damals von politischem Kitsch sprachen - den beiden Protagonisten war es in der Sache ernst.

Die Geste besiegelte einen Annäherungsprozess zwischen den Mächten, der lange Zeit unvorstellbar war. Die Erzfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland hatte sich durch Jahrhunderte gezogen. Die beiden Weltkriege und der deutsch-französische Krieg von 1870/71 waren blutige Höhepunkte dieser Ablehnung. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die Regierungen langsam aufeinander zu. Angesichts der Zerstörungen war der Wunsch nach Frieden auf beiden Seiten zur treibenden Kraft geworden.

Sowohl für Kohl als auch für Mitterrand hatte das Schlachtfeld von Verdun auch persönliche Bedeutung: Kohls Vater Hans kämpfte hier im Ersten Weltkrieg, als "Inbegriff des entsetzlichen Grauens" habe er diesen Ort beschrieben, so Kohl. Mitterrand war im Zweiten Weltkrieg bei Verdun als Unteroffizier im Einsatz. Er wurde durch einen Granatsplitter verwundet und geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er war Zwangsarbeiter, bis ihm die Flucht gelang.

Nicht die erste große Geste
Kohl und Mitterrand waren freilich nicht die Ersten, die nach den Weltkriegs-Schrecken Brücken schlugen. Bundeskanzler Konrad Adenauer
(CDU) und dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle kommt als Unterzeichnern des Élysée-Vertrags ebenfalls entscheidende Bedeutung zu. Auch diese beiden Politiker legten Wert auf Symbolik: Nachdem sie den Freundschaftsvertrag am 22. Januar 1963 unterschrieben hatten, umarmten sie sich herzlich.

Auch die deutsche Ostpolitik enthielt öffentlichkeitswirksame Gesten der Verständigung. Eine große Szene spielte sich am 7. Dezember 1970 ab. Der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) besuchte das ehemalige Warschauer Ghetto. Er legte einen Kranz für die jüdischen Opfer ab und kniete zur Überraschung der Zuschauer vor dem Ehrenmal nieder.

"Ich hatte plötzlich das Gefühl, stehen reicht nicht", sagte Brandt laut Erzählungen seines Freundes Egon Bahr später. Die Demutsgeste wurde weltweit beachtet und gilt heute als wichtigstes Symbol der Entspannungspolitik Brandts in Richtung Osteuropa. Sie war einer der ersten Schritte in Richtung deutsch-polnische Freundschaft - auch wenn der Kalte Krieg erst zwei Jahrzehnte später zu Ende gehen sollte.