Vier Wochen nach der Präsidentenwahl in Afghanistan eskaliert der Streit über das Ergebnis

Karsais trügerischer Sieg

Alle Stimmen sind gezählt, doch vier Wochen nach der Wahl in Afghanistan ist die Lage verfahrener denn je. Zwar hat der amtierende Präsident Hamid Karsai laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mit 54,6 Prozent eine absolute Mehrheit gewonnen. Doch sein Sieg könnte trügen, denn die Wahl vom 20. August wird von massiven Fälschungsvorwürfen begleitet.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

In Kabul laufen schon Vorbereitungen für eine Stichwahl in fünf Wochen, die eigentlich nur nötig ist, wenn kein Kandidat mehr als 50 Prozent erreicht hat. Eine Schlüsselrolle hat nun die Wahlbeschwerdekommission, die von den Vereinten Nationen eingerichtet wurde. Das Gremium, geführt von dem kanadischen Politiker Grant Kippen, hat die Aufgabe, zweifelhafte Stimmen für ungültig zu erklären und die Neuauszählung fragwürdiger Wahlzettel zu veranlassen.

Die Kommission hat bereits eine Neuauswertung der Stimmen in zehn Prozent aller Wahllokale des Landes angeordnet. Die Voten aus 83 Wahlzentren im Süden Afghanistans, wo Karsai seine Hochburg hat, wurden annulliert. Die Aberkennung könnte Karsai seinen Sieg in der ersten Wahlrunde kosten.

Auch hinter den diplomatischen Kulissen in Kabul tobt ein heftiger Kampf, wie viele Stimmen Karsai abzuerkennen sind. Selbst die UN-Mission in Afghanistan ist gespalten, inwieweit der Westen seinen Einfluss geltend machen soll: Der stellvertretende Leiter, der US-Amerikaner Peter Gailbraith, soll wegen Differenzen mit dem Missionschef Kai Eide aus Norwegen inzwischen aus Kabul abgereist sein. Gailbraith wollte Medienberichten zufolge fast alle Stimmen wegen Fälschungsverdacht neu bewerten lassen.

Eide ist offenbar gegen so viel Einmischung: Er befürchtet, die Afghanen könnten die Abstimmung dann als gänzlich vom Westen gesteuert ansehen. Hintergrund ist, dass die USA und andere Staaten zuletzt keinen Hehl daraus machten, dass sie Karsai für unfähig und zu eigenwillig halten, um das Amt des Staatschefs weiter zu bekleiden. Der frühere Außenminister Abdullah Abdullah ist dagegen für Washington ein neuer Hoffnungsträger. Er landete nach dem offiziellen Ergebnis weit abgeschlagen mit rund 28 Prozent auf dem zweiten Platz.

US-Diplomat Galbraith wird in seiner harten Linie von der EU-Wahlbeobachtermission in Kabul unterstützt. Sie ließ verlauten, dass sie 1,1 Million der Stimmen für Karsai für getürkt hält. Doch auch Abdullah hat der Kommission zufolge keine weiße Weste. Er habe bei etwa 300.000 Stimmen betrogen. Insgesamt bezeichnete die EU 1,5 Millionen Wahlzettel als zweifelhaft oder gefälscht, mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen. Karsai zeigte sich schockiert über diese Erklärung, die er als verantwortungslos zurückwies.

Eine Stichwahl wird um so wahrscheinlicher, je mehr Stimmen neu ausgezählt werden. Schließlich war die Wahlbeteiligung so gering, dass allein 20.000 Stimmen weniger für Karsai den amtierenden Präsidenten den direkten Sieg kosten dürfte.

Auch eine andere Rechnung wirft Schatten auf die Legitimität der Wahl: Zieht man die möglichen Mogel-Stimmen von den ausgewerteten Stimmen ab, reduziert sich bei insgesamt 5,5 Millionen abgegebenen Wahlzetteln die Wahlbeteiligung auf etwa 27 Prozent. Selbst für eine Abstimmung in einem Entwicklungsland wie Afghanistan ist dies sehr gering.

Etwa 15 Präsidentschaftskandidaten fordern daher eine vollständige Wiederholung der Wahl vom 20. August. Eine Stichwahl zwischen Karsai und Abdullah würde die Hauptfälscher der Wahl belohnen, sagte der Sprecher der Gruppe, Baschir Ahmad Bischan.