Umweltminister Gabriel warnt vor Scheitern der Weltklimakonferenz

Die Leidtragenden werden die Entwicklungsstaaten sein

Rund 100 Tage vor der Weltklimakonferenz in Kopenhagen warnt Umweltminister Sigmar Gabriel vor einem Scheitern der Verhandlungen über ein neues Klimaschutzabkommen. "Zwar sind die Bedingungen für Kopenhagen jetzt günstiger als bei früheren Verhandlungen", sagte er im epd-Interview. "Ein Scheitern ist aber genauso möglich wie ein Erfolg."

 (DR)

epd: Beim G-8-Gipfel in L'Aquila haben sich Industrie- und Schwellenländer im Juli dazu bekannt, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Zudem wollen die reichen Staaten ihren Treibhausgas-Ausstoß um 80 Prozent bis 2050 senken. Manche haben das bereits als Durchbruch auf dem Weg zu einem neuen Klimaschutzabkommen gefeiert, das im Dezember in Kopenhagen verabschiedet werden soll. Zurecht?
Gabriel: L Aquila war sicher ein Fortschritt, aber noch kein Durchbruch. Zwar sind die Bedingungen für Kopenhagen jetzt günstiger als bei früheren Verhandlungen. Ein Scheitern ist aber genauso möglich wie ein Erfolg. In L'Aquila wurden keine Ziele zur CO2-Reduktion bis 2020 festgelegt. Wir brauchen aber ein mittelfristiges Ziel, um unter Beweis zu stellen, dass wir das langfristige Ziel von minus 80 Prozent gegenüber 1990 auch erreichen können. Langfristige Ziele schließen Politiker deshalb sehr gerne ab, weil nicht sie, sondern die eigenen Kinder und Enkelkinder sie einhalten müssen.

epd: Im UN-Rahmen kommen die Verhandlungen über die mittelfristigen Emissionsziele nicht voran. Welche Länder müssen sich bewegen, damit Kopenhagen ein Erfolg wird?
Gabriel: Alle müssen sich bewegen, nur in unterschiedlicher Weise. Im Moment wird Mikado gespielt: Wer sich als erster bewegt, hat verloren. Diejenigen, die am wenigsten Angst vor dem Mikado-Spiel haben, sind die Europäer. Was wir vorschlagen, liegt genau auf der Linie der Forscher vom Weltklimarat: Die Industriestaaten müssen die Emissionen bis 2020 zwischen 25 und 40 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern. Deutschland will 40 Prozent reduzieren, die EU im Schnitt 30 Prozent. Staaten wie die USA, Russland und Japan sollten da mitmachen. Auch die Entwicklungsländer müssen ihre Emissionen reduzieren, allerdings nicht unter ein bestimmtes Referenzjahr.

epd: Der Amtsantritt von Präsident Barack Obama hat nach den Bush-Jahren Hoffnungen auf eine neue US-Klimapolitik geweckt. Wie beurteilen Sie die Rolle der Amerikaner bei den Klimaverhandlungen?
Gabriel: Das Positive ist: US-Präsident Obama hat eine Wende in der amerikanischen Klimapolitik vollzogen. Aber die langfristigen Ziele zur CO2-Reduktion bis Mitte des Jahrhunderts reichen nicht aus. Für 2020 haben die Vereinigten Staaten ein Ziel, das nur um vier bis sechs Prozent unter dem Stand von 1990 liegt. Ich habe die große Sorge, dass sich die anderen Industrieländer daran orientieren und hinter den USA verstecken werden. Zum Beispiel die Russen: Die haben zwar ein Ziel von 10 bis 15 Prozent, aber alle wissen, dass sie in Wahrheit noch viel mehr machen könnten. Die Japaner, die Kanadier, die Australier werden alle schauen, was die USA machen.

Wenn die Industriestaaten insgesamt so wenig machen, gerät das Zwei-Grad-Ziel in Gefahr. Die Leidtragenden werden die Entwicklungsstaaten sein - Wüstenbildung und Überschwemmungen werden zunehmen. Das ist hochgradig ungerecht.

epd: Welche Chancen sehen Sie, dass die USA sich bei den mittelfristigen Zielen auf die EU zubewegen?
Gabriel: Wir haben den USA ein Angebot gemacht: Wenn wir akzeptieren, dass Ihr bis 2020 nicht in gleicher Weise Emissionen senkt wie die Europäer, dann müsst Ihr uns im Gegenzug sagen, was Ihr zwischen 2020 und 2030 macht. Diese Antwort sind uns die Amerikaner bis heute schuldig geblieben.

epd: Der zweite große Spieler im Klimapoker ist China, mittlerweile der größte CO2-Emittent der Welt. Experten der chinesischen Regierung haben jetzt erstmals mögliche Klimaziele für das Land aufgestellt, demnach soll der CO2-Ausstoß ab 2030 sinken. Reicht das aus?
Gabriel: Ich bin sehr froh, dass die Chinesen jetzt erstmals einen Vorschlag gemacht haben. 2030 ist sicher zu spät. Aber es ist auch nicht zu erwarten, dass die Regierung in Peking vier Monate vor Kopenhagen alles auf den Tisch legt. Zur weiteren Reduzierung dessen, was sie schon angeboten haben, werden sie Technologie-Transfer fordern. Das ist des Verhandelns wert.

epd: China setzt ebenso wie Indien bei der Reduktion des CO2-Ausstoßes auf Atomkraft. Führt der Kampf gegen die Erderwärmung zu einer Renaissance der Atomkraft? Und was bedeutet das für den deutschen Atomausstieg?
Gabriel: Gar nichts. Denn die angebliche Renaissance der Kernenergie findet nicht statt - selbst wenn man solche Länder wie China und Indien dazurechnet. Klimaschutz mit Hilfe von Atomkraft zu betreiben, ist eine illusorische Vorstellung. Es werden mehr Kernkraftwerke stillgelegt als neue gebaut. In den nächsten 20 Jahren haben wir ungefähr 200 Atomkraftwerke, die vom Alter her ersetzt werden müssten, aber Bauvorhaben gibt es maximal 50. Zwischen 1.300 und 1.400 neue Reaktoren würden benötigt, um mit Atomkraft einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz leisten zu können. Jetzt gibt es 436. Der weltweite Endenergie-Bedarf wird mit weniger als zwei Prozent aus Kernenergie gedeckt. Ressourcen, Ingenieurleistung und Kapital reichen nicht einmal aus, um den Abwärtstrend aufzuhalten, geschweige denn für eine Renaissance der Kernenergie.

epd: Für die Anpassung an den Klimawandel in armen Ländern sind nach Schätzungen mehr als 100 Milliarden Euro im Jahr nötig. Bislang haben die Industrieländer noch keine konkreten Hilfszusagen gemacht. Was erwarten Sie in dieser Hinsicht vom G-20-Gipfel am 24./25.
September in Pittsburgh?

Gabriel: Das Klimaschutzabkommen wird nicht an der Finanzierung für Anpassung scheitern. Beim G-20-Gipfel muss jetzt zunächst geklärt werden, aus welcher Finanzierungsquelle das Geld denn kommen soll. Nach meiner festen Überzeugung muss das vom Kohlenstoffmarkt kommen, also vom Emissionshandel. Wir müssen CO2 einen Preis geben - und wir müssen das, was wir aus dem Verkauf von Zertifikaten erhalten, zu einem erheblichen Teil in den internationalen Klimaschutz geben.

Deutschland wird zwischen sechs und zehn Milliarden Euro jährlich durch den Zertifikatshandel ab 2013 einnehmen. Davon wollen wir bis zu 50 Prozent für internationalen Klimaschutz bereitstellen. Die andere Hälfte sollten wir im eigenen Land für Klimaschutz einsetzen, es den Bürgern zurückgeben, in dem wir ihnen helfen, ihre Gebäude zu dämmen und auf erneuerbare Energien umzustellen.

epd: Deutschland wird sein Klimaziel verfehlen, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu senken. Das jedenfalls sagt eine neue Studie im Auftrag von Greenpeace, die von 30 Prozent ausgeht. Was muss Deutschland zusätzlich für den Klimaschutz tun?
Gabriel: Erst mal bin ich Greenpeace dankbar: Die attestieren uns immerhin, dass wir 30 Prozent Minderung erreichen - ein großes Lob, denn das ist mehr als jedes andere Land auf der Erde schafft. Und alles weist darauf hin, dass das Klimapaket, das die die Koalition 2007 in Meseberg beschlossen hat, für 35 bis 36 Prozent CO2-Reduktion reicht. Das haben wir immer betont. Um auf 40 Prozent zu kommen, müssen wir noch eine Schippe drauf legen, insbesondere beim Ausbau erneuerbarer Energien noch besser werden und den Bereich Verkehr und Landwirtschaft stärker in die Strategie einbeziehen. Das ist uns in den letzten fünf Jahren nicht ausreichend gelungen.

epd: Wäre ein Tempolimit im Dienste des Klimas nicht sinnvoll?
Gabriel: Die SPD will das, es ist aber mit der CDU/CSU nicht durchsetzbar gewesen. Ohnehin können mit einem Tempolimit nur 1,5 bis 2 Prozent CO2 eingespart werden. Das ist Kleinvieh und macht auch Mist. Es zeigt, dass man bereit ist, selber als Individuum mitzuhelfen. Aber es bedarf mehr als einer Debatte übers Tempolimit.

epd: Ihr Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier fordert eine Verlängerung der Steinkohle-Förderung bis 2018. Wie ist das mit dem Klimaschutz vereinbar?
Gabriel: Bei der eigenen Kohleförderung geht es nicht um den Bau von Kohlekraftwerken. Kohlekraftwerke können Sie auch betreiben mit Exportkohle. Das Einstellen der Kohleförderung in Deutschland heißt ja nicht, dass dann keine Kohlekraftwerke mehr gebaut werden.

Für den Klimaschutz ist es übrigens unerheblich, wieviel Kohlekraftwerke in Deutschland gebaut werden: Denn die Menge des Kohlendioxids, die emittiert werden darf, ist durch den Emissionshandel absolut gedeckelt und wird fortlaufend gesenkt.
Theoretisch könnten Sie Hunderte Kohlekraftwerke bauen, trotzdem wird deswegen nicht ein Gramm mehr CO2 in die Luft geblasen. Die Zahl der Kohlemeiler hat keinen Einfluß auf die Menge des CO2, sondern auf den Preis von CO2. Anders gesagt: Ab einer bestimmten Anzahl von Kohlekraftwerken ist der Preis für CO2 so teuer, dass es unrentabel wird, Kohlekraftwerke zu betreiben.

epd: Eine Methode, die Kohle sauberer zu machen, ist die unterirdische CO2-Speicherung, die sogenannte CCS-Technologie.
Verstehen Sie die Ängste der Menschen, die in Regionen wohnen, in denen solche Speicher geplant sind?
Gabriel: Ich verstehe die Ängste, insbesondere nachdem die Union das Gesetz zur unterirdischen Kohlespeicherung gekippt hat. Unser Gesetzentwurf hat genau die Sicherheitsaspekte umfasst. Allerdings muss man die Kirche im Dorf lassen. Wir sitzen in Deutschland auf Erdgas-Speichern, wir haben Kohlenmonoxidleitungen - alle potentiell viel gefährlicher als die CO2-Speicher. Und diejenigen, die CO2-Speicher mit Atommüll vergleichen, haben keine Ahnung über die Gefährlichkeit von Atommüll.

epd: Was würde sich unter einer schwarz-gelben Koalition beim Klimaschutz ändern?
Gabriel: Das hat Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg
aufgeschrieben: Er will die Förderung erneuerbarer Energien um 30 Prozent kürzen. Das wäre der Tod der Solarenergie in Deutschland. Und er würde die Atomkraftwerke länger laufen lassen. Damit würde er den Ausbau der erneuerbaren Energien abwürgen. Denn wer würde noch in Off-Shore-Windparks investieren, wo wir 30.000 Jobs schaffen können, wenn das Netz mit Atomstrom blockiert ist? Außerdem hat die Union angekündigt, dass sie beim CCS-Gesetz deutliche niedrigere Standards haben will. Auch haben CDU/CSU in dieser Legislatur-Periode ein Energie-Effizienz-Gesetz verhindert. Unter einer schwarz-gelben Kolaition würden wir richtig zurückfallen.

Ich habe Bundeskanzlerin Angela Merkel immer gesagt, dass ich ihre internationale Klimapolitik unterstütze. Aber wenn wir die hier in Deutschland umsetzen wollen, dann bräuchten wir eine deutliche Verkleinerung der Unionsfraktion im Bundestag.

Mit Gabriel (49), der auch nach der Bundestagswahl am 27. September im Amt bleiben möchte, sprach Stefan Fuhr.