Friedensforscher Missalla über die teils unrühmliche Rolle Kirche im Zweiten Weltkrieg

"Wer glaubt, kann besser sterben"

Heinrich Missalla, emeritierter Professor für Religionspädagogik in Essen, hat die Rolle der katholischen Kirche im Zweiten Weltkrieg ausgiebig erforscht. Selbst Kriegsteilnehmer, war der Theologe und Friedensforscher von 1988 bis 1996 auch als Geistlicher Beirat in der Friedenbewegung "pax christi" aktiv. Im Interview spricht er über die kirchliche Einstellung zu Hitlers Krieg und den Einfluss der Militärseelsorge.

 (DR)

KNA: Herr Missalla, wie war die offizielle Haltung der katholischen Kirche in Deutschland zum Kriegsbeginn?
Missalla: Da gab es eindeutige Zustimmung. Nach dem Angriff gegen Polen sicherte die Kirchenleitung dem Regime ihre Unterstützung zu. In den Messen betete man für einen schnellen Sieg der deutschen Truppen. Viele Bischöfe mahnten die Gläubigen zu Pflichterfüllung, Tapferkeit und Opferbereitschaft. Diesen Krieg hielt die Mehrheit der deutschen Bischöfe für gerecht.

KNA: Solche Worte aus dem Mund von Kirchenvertretern kann man sich heute kaum noch vorstellen. Woher kam diese Bejahung?
Missalla: Auch die Bischöfe und Pfarrer waren Menschen ihres Volkes und ihrer Zeit. Schon im Ersten Weltkrieg hatte der Klerus hinter der Staatsführung gestanden. Den Versailler Vertrag empfand er genauso als "Schandvertrag" wie die meisten Deutschen. Patriotismus und Gehorsam waren schlichtweg selbstverständliche Tugenden.

Schließlich erklärt auch der Apostel Paulus im Römerbrief der Bibel, dass alle Obrigkeit von Gott eingesetzt ist. Ihre Befehle sind zu befolgen. Das blieb verbindlich, obwohl viele Geistliche Vorbehalte gegen das NS-Regime hatten und etliche schon vor 1939 verfolgt wurden.

KNA: Durch die Militärseelsorge wurde die Kirche unmittelbar am Kriegsgeschehen beteiligt. Die Militärpfarrer trugen das Hakenkreuz auf der Uniform und die Kette mit dem Kreuz um den Hals. Worin sahen sie ihre Aufgabe?
Missalla: Ihr Hauptmotiv war, den christlichen Glauben unter den jungen Männern in einem glaubensfeindlichen Regime wachzuhalten und ihnen in der Extremsituation an der Front beizustehen. Oft begleiteten die Geistlichen, die sich übrigens freiwillig meldeten, die Soldaten in den Kampf, um möglichst nahe bei den Sterbenden und Schwerverletzten zu sein. Es ging aber auch um Sinnstiftung. Gerade den Krieg gegen die Sowjetunion rechtfertigten Pfarrer ehrlich überzeugt als Verteidigung gegen den "atheistischen Bolschewismus".
Es ging auch um den Nachweis, dass der katholische Glaube keineswegs einem "wehrhaften Germanentum" entgegensteht.

KNA: Wie standen Staat und Armee zur Militärseelsorge?
Missalla: Für die Wehrmachtsführung war klar: "Wer gläubig ist, kann besser sterben und geht mutiger in den Tod." Die traditionelle Militärseelsorge wurde deshalb gutgeheißen. Das Regime wiederum hatte sie im Reichskonkordat 1933 ausdrücklich bestätigt - und behielt über das Militärbischofsamt die Kontrolle darüber. Der hitlergläubige Militärbischof Rarkowski - der von seinen Bischofskollegen übrigens geschnitten wurde - bereitete den Nationalsozialisten ohnehin keine Probleme. Doch letztlich sah das Regime die Truppenseelsorge als Relikt einer alten Epoche, das allmählich absterben sollte.

KNA: Wurde das Ziel einer "Entchristlichung" der Wehrmacht denn erreicht?
Missalla: Sie gelang den Nazis jedenfalls immer besser, auch weil immer mehr junge Offiziere nachrückten, die stark von der NS-Ideologie geprägt waren und die Arbeit der Militärpfarrer behinderten. Die der Partei hörigen Befehlshaber der Wehrmacht unterstützten die Wehrmachtsführung darin, die Militärseelsorge "auszuhungern". So wurden Stellen einfach nicht mehr besetzt, oder Frontpfarrer durften keinen Kontakt zu Angehörigen von Gefallenen aufnehmen, denen sie im Tod beigestanden hatten. Der Einfluss der Kirchen auf die Soldaten darf ohnehin nicht überschätzt werden. Im ganzen Krieg waren gerade einmal 650 katholische und etwa ebenso viele protestantische Militärpfarrer hauptamtlich im Einsatz.

KNA: Sie selbst wurden 1944 eingezogen. Wie haben Sie die Truppenseelsorge erlebt?
Missalla: Überhaupt nicht. In Dänemark und Frankreich habe ich keinen einzigen Militärpfarrer zu Gesicht bekommen. Erst 1945 in der Kriegsgefangenschaft bin ich einem begegnet. Und so ging es Millionen Soldaten in dieser Riesenarmee.

KNA: Gab es angesichts der deutschen Kriegsverbrechen auch Protest oder gar Widerstand von Frontgeistlichen?
Missalla: Widerstand gegen die Führung lag völlig außerhalb des Denkrahmens dieser Männer. Schließlich hatte die Wehrmacht Hitler ja "bei Gott" die Treue geschworen. Man kann nur vermuten, dass der eine oder andere mit der Zeit seine Zweifel bekam. Mir ist zumindest ein Fall bekannt, wo ein Pfarrer seinem Bischof entsetzt von Massenerschießungen in Russland berichtete. Der Bischof sagte ihm dann: "Das ist nicht Ihre Angelegenheit" und wollte nichts mehr davon hören.

KNA: Welcher Bischof war das?
Missalla: Ausgerechnet der berühmte "Löwe von Münster", Clemens Graf von Galen, der sich wegen der Ermordung von Behinderten sehr mutig mit dem Regime angelegt hatte und so dazu beigetragen hat, dass die sogenannte "Euthanasie" nahezu eingestellt werden musste.

KNA: Hat die Kirche denn aus der problematischen Rolle der Militärseelsorge gelernt?
Missalla: Ich denke schon. Militärgeneralvikar Werthmann hat nach dem Krieg klar seinen Irrtum hinsichtlich seiner anfänglichen Beurteilung des Krieges eingestanden. Er hat dann in der Bundeswehr zu einem neuen Konzept der Truppenseelsorge beigetragen. Dabei sollen kirchenfremde Einflüsse aus der Arbeit mit den Soldaten herausgehalten werden. Der Appell an Tapferkeit und nationalen Opfersinn etwa in Afghanistan wäre heute so nicht mehr denkbar. Allerdings ist die Bundeswehr nicht mehr nur Verteidigungs-, sondern inzwischen auch Interventionsarmee, durch die auch Menschen sterben. Mir ist nicht bekannt, ob dies zu einer ethischen Diskussion in der Militärseelsorge geführt hat.