Der Tod vieler Kinder durch Gehirnentzündung ist in Indien kaum ein Thema

Die Krankheit der Armen

"Hirn-Fieber" nennen es die Menschen in den Dörfern. Es kommt jedes Jahr zur Regenzeit und trifft vor allem die Kinder. In diesem Jahr wütet die Krankheit besonders schlimm im indischen Gorakhpur. Stechmücken übertragen die Viren dieser Form der Gehirnentzündung. Es gibt zwar einen Impfstoff, doch Pläne für Massenimpfungen scheitern immer wieder.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

Rund 900 Kinder kamen schon ins Krankenhaus der Kleinstadt an der Grenze zu Nepal. Die meisten Familien kennen den medizinischen Namen nicht: Japanische Enzephalitis. Im vergangenen Jahr starben in der Klinik 151 Mädchen und Jungen an dieser schweren Gehirnentzündung.

In diesem Jahr, so befürchten die Ärzte, werden es noch mehr sein. In ganz Indien wurden schon mehr als 210 Tote gezählt. Stechmücken übertragen die Viren dieser Form der Enzephalitis, die nicht nur in Japan, sondern in ganz Ostasien vorkommt. Die Grenzregion zu Nepal im Osten Indiens gilt als Risikogebiet. Während des Monsuns werden dort viele Ebenen überschwemmt - eine ideale Brutstätte für die Mücken.


Tod kommmt nach wenigen Stunden
Besonders Kinder unter zehn Jahren, die aus armen Familien stammen, werden schnell ernsthaft krank. «Sie bekommen plötzlich leichtes Fieber am Morgen, dann kommen Krämpfe und Bewusstlosigkeit. Einige Stunden später sind sie tot», sagt ein Klinik-Arzt.

Zwar gibt es einen Impfstoff gegen die Enzephalitis. Doch Massenimpfungen scheiterten in Indien bisher an Bürokratie, Korruption und der Untätigkeit der Behörden. Nach dem letzten schweren Ausbruch der Gehirnentzündung 2005 mit 1.500 Toten importierte Indien zwar Impfstoff aus China, doch eine systematische Impfkampagne blieb aus.


Mittelschicht nicht betroffen
Überhaupt wird die Krankheit von Indiens Mittelschicht kaum wahrgenommen. In den Zeitungen kommt sie nur als Randnotiz vor.
Japanische Enzephalitis ist eine Seuche, die die Armen auf dem Land jedes Jahr aufs Neue trifft. Die Einwohner der Hauptstadt Neu-Delhi, der Finanzmetropole Mumbai (Bombay) oder der IT-Stadt Bangalore haben aber ganz andere Sorgen: Die Schweinegrippe.

An dieser neuen Form der Influenza starben bislang in Indien 63 Menschen. Doch Fernsehsender erklären in Krisensendungen bereits pausenlos, wie man sich vor Ansteckung schützen kann. Sie gehen etwa der Frage nach, ob es sinnvoll ist, auf dem Laufband im Sportstudio Atemmasken zu tragen. Menschen mit Mundschutz oder Tuch vor dem Mund sind regelmäßig im Stadtbild zu sehen.

Schweinegrippe sorgt für Panik Auf dem Indira-Gandhi-Flughafen in Neu-Delhi trägt das Bodenpersonal, das ausländische Reisende empfängt, Mundschutz. Ärzte im weißen Kittel screenen die Passagiere mit einer Wärmekamera auf erhöhte Temperatur. Selbst Mitarbeiter des Außenministeriums mit internationalem Publikumsverkehr halten Hand-Desinfektionsmittel vor.

Die Journalisten Vrinda Gopinath kommentierte die Schweinegrippen-Hysterie jüngst in der indischen «Mail Today» mit Bitterkeit: «Was macht es, dass jedes Jahr Hunderte auf dem Land an Japanischer Enzephalitis sterben oder alle drei Minuten zwei Menschen an Tuberkulose?» Sie rechnete vor, dass jeden Tag in Indien 1.600 Kinder wegen unsauberem Wasser an Durchfall sterben. «Da gibt es keine Panik oder die Terrordrohung einer Pandemie», klagt Gopinath. "Weil dies Krankheiten der Slums und des Hinterlandes sind."