In Polen stößt die Erinnnerung an den deutschen Überfall auf wenig Interesse

70 Jahre nach dem Angriff auf die Westerplatte

Am frühen Morgen des 1. Septembers werden in Danzig wieder die Hafensirenen heulen, werden Kränze vor dem 25 Meter großen, stumpfen Bajonett aus Granit niederlegt, werden die polnischen Verteidiger der Westerplatte in Reden gehuldigt. Polen erinnert dann an den 70. Jahrestag des deutschen Überfalls. Doch die Feierlichkeiten haben an Gewicht verloren.

Autor/in:
Jens Mattern
 (DR)

Die Schüsse des Schulschiffes Schleswig Holstein auf das polnische Munitionsdepot auf der Halbinsel Westerplatte gelten als erste Kriegshandlung des Zweiten Weltkriegs.

Von den Veteranen der Westerplatte leben noch vier. Allein einer, der pensionierte Arbeiter 94 Jahre alte Ignacy Skowron, wird an den Feierlichkeiten teilnehmen. Während das Gedenken frühmorgens den Polen vorbehalten ist, werden an den Hauptfeierlichkeiten am Nachmittag ausländische Gäste teilnehmen, jedoch weit weniger bedeutende als von Premier Donald Tusk erhofft.

«Die Feinde kommen, die Allierten nicht unbedingt», titelte die Tageszeitung «Dziennik» darum bissig. Denn während die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der russische Ministerpräsidenten Wladimir Putin ihre Teilnahme bereits zugesagt haben, bleiben die Staatsoberhäupter der USA, Großbritanniens und Frankreichs der Veranstaltung fern.

40 Prozent der Polen halten den Tag nicht mehr für wichtig
Öffentliche Entrüstung lösten die Absagen in Polen jedoch nicht aus. Denn die Feierlichkeiten haben an Gewicht verloren: Eine Umfrage der «Newsweek Polska» hat gezeigt, dass bereits 40 Prozent der Bevölkerung dem Gedenken an den Angriff auf die Westerplatte keine Bedeutung mehr beimessen.

Die sozialistische Volksrepublik Polen nutzte die Erinnerung an den Kriegsbeginn zur Mobilisierung des nationalen Gemeinschaftsgefühl. Mit der Wende und der endgültigen Anerkennung der Grenze begannen offizielle Versöhnungsbegegnungen mit Deutschland. Doch erst 1999 nahm mit Roman Herzog ein deutscher Bundespräsident an den Feierlichkeiten teil.

Mit dem Streit um das «Zentrum gegen Vertreibungen» wurde die Westerplatte wieder zu einem Ort, an dem vor dem westlichen Nachbarn gewarnt wurde. Ihren Höhepunkt erreichte diese Stimmung im Jahre 2006 unter Premier Jaroslaw Kaczynski, der mit seinem deutschlandskeptischen Kurs für bilaterale Irritationen sorgte.

Wettstreit der Gedenkstätten
Diese Spannungen um die Deutung der Geschichte sind schwächer geworden, jedoch weiterhin vorhanden: An diesem 1. September will der konservativ-liberale Premier Donald Tusk den Baubeginn des lange angekündigten «Museums des Zweiten Weltkriegs» in Danzig mit seiner Unterschrift feierlich besiegeln. Das Projekt gilt als polnischer Gegenentwurf zum deutschen Gedenken an die Vertreibung. Hingegen haben die katholischen Bischöfe beider Länder im Vorfeld eine von Versöhnung bestimmte gemeinsame Erklärung zum 70. Jahrestag abgeben.

Neben Danzig wird auch die Kleinstadt Wielun den 70. Jahrestag mit mit Reden, Appellen und Ehrungen begehen. Der Ort wurde von der Luftwaffe fast zeitgleich mit der Westerplatte bombardiert und zu 70 Prozent zerstört, ohne eine militärische Bedeutung gehabt zu haben.

Für den 75 Jahre alten Janusz Witt ist der Angriff, den er als Kind mit seinen Eltern mit Gasmaske unter dem Küchentisch erlebte, seine «erste Erinnerung an die Welt». Noch nach vier Tagen brannte die Stadt. Heute freut sich der pensionierte Journalist und engagierte Lutheraner, dass Polen gute Beziehungen zu seinen Nachbarn pflegt - zumindest so gut wie noch nie zuvor in seiner Geschichte.