"tag7"-Reportage über alkoholkranke Ordensleute

Spiritus und Spirituosen

Spiritus und Spirituosen - 30 Jahre lang bestimmten sie das Leben von Schwester Stefanie. Bei ihren Mitschwestern galt die stille und bescheidene Ordensfrau als Problemfall. Es gehörte Mut dazu, mit dem Tabu-Thema "Alkoholismus im Kloster" zu brechen und an die Öffentlichkeit zu gehen. Dennoch wagte Schwester Stefanie diesen Schritt.

Autor/in:
Heide-Marie Göbbel
 (DR)

Ihre Geschichte soll eine Warnung sein und eine Hilfe für andere. Sie habe es sich sehr schwer gemacht, sich zu ihrem Alkoholismus zu bekennen und über ihre innere Not zu sprechen, sagt Schwester Stefanie. Wenn sie nur einem oder zwei Menschen damit helfen könne, habe sich ihr Entschluss schon gelohnt.

Martin Blachmann und sein Kamerateam begleiten Schwester Stefanie für einen Tag. In der "tag7"-Reportage "Tabu im Kloster", die der WDR am Sonntag ausstrahlte, schildern sie die Stationen ihres beeindruckenden Weges. Mit Sekt, den ihr ein Arzt nach einer schweren Kopfoperation gegen die Schmerzen verordnete, habe es angefangen, erzählt die Ordensfrau. Und mit Wein aus dem Pappkarton, heimlich durch den Kellerausgang des Klosters im Supermarkt besorgt, habe es aufgehört. Man sei wie ferngesteuert und hätte nichts anderes mehr im Kopf als den Alkohol.

Sie wurde krank und haderte manches Mal mit Gott
Schwester Stefanie, heute 66, ging mit 16 Jahren ins Kloster. Als sie immer häufiger zur Flasche griff, stieg ihre Scham und Verzweiflung ins Unerträgliche. Sie wurde krank und haderte manches Mal mit Gott. Weil der ihr nicht half, zerstörte sie sogar drei Kreuze. Ihre Mitschwestern reagierten meist hilflos auf ihre Probleme, niemand wusste einen Ausweg.

Als die ehemalige Provinzoberin Schwester Magdalis sah, wie elend Stefanie dran war, wollte sie das Problem nicht mehr decken. Sie meldete die Mitschwester ohne ihr Wissen beim Therapiezentrum für Ordensleute in Essen an. Nach einer halbjährigen stationären Therapie und zwei Rückfällen, über die Schwester Stefanie offen und sehr bewegend spricht, entschloss sie sich endgültig zur Abstinenz. Inzwischen ist sie fünf Jahre trocken und arbeitet als aktives Mitglied einer Selbsthilfegruppe für Suchtkranke und deren Angehörige im Katholischen Kreuzbund.

Pastor Wilhelm Wietkamp, der Leiter der bistumsinternen Suchtberatung Essen, äußert sich engagiert zum Tabuthema Alkohol im Kloster. Es gebe keine Statistiken, doch bekannt sei, dass der Prozentsatz der Alkoholkranken in geistlichen Berufen höher liege als in der Normalbevölkerung. Offenbar seien Mitglieder von Berufen, die sich mit den Sorgen und Nöten anderer befassten, auch selbst stärker belastet.

90. Beitrag seit 1999
Die beeindruckende Geschichte von Schwester Stefanie ist der 90. Beitrag in der renommierten WDR-Reihe "tag7". Für die erste Reportage im September 1999 hatten Martin Blachmann und sein Team einen Tag im Zisterzienserkloster Heisterbach verbracht. Aus fast 300 Minuten gedrehtem Material entsteht jeweils eine halbstündige Reportage.

Das Besondere an der Reihe ist ihre große Authentizität, weil nur gezeigt wird, was am Drehtag passierte. Wichtige Fakten oder Kommentare werden durch ein Schriftband ergänzt. Die Reihe findet nicht zuletzt durch ihre Ehrlichkeit großen Zuspruch bei den Zuschauern und wird laut Senderangaben fortgesetzt.