In Costa Rica bangen Küstenbewohner um ihre Zukunft

Nicht Platz für alle an der Sonne

Das kleine Fischerdorf Playa Ostional an der Pazifikküste von Costa Rica hat es in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Nun droht den Bewohnern die Vertreibung - ohne dass ihnen ein anderer Siedlungsort angeboten würde.

Autor/in:
Torge Löding
 (DR)

Tiefe Ränder hat Gilbert Rojas Araya unter den Augen. Doch ein Schluck Kaffee genügt, und der kleine hellhäutige Mann ist wieder munter: "Wir in Ostional leben in Einklang mit der Natur und haben ein weltweit einzigartiges Modell entwickelt. Das steht auf dem Spiel", sagt der Vorsitzende des Entwicklungskomitees von Playa Ostional, einem Ort an der Pazifikküste von Costa Rica. Auf Anordnung des Umweltministeriums droht den mehreren hundert Bewohnern die Vertreibung - ohne dass ihnen ein anderer Siedlungsort angeboten würde.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat es das kleine Fischerdorf zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Dank der Bastardschildkröten, die das ganze Jahr über einmal im Monat zu Zehntausenden an den Strand kommen, um ihre Eier im Sand zu vergraben. Schildkröteneier gelten in Mittelamerika als Delikatesse. In Playa Ostional kümmert sich die Gemeinschaft um deren Schutz - und um den kontrollierten Verkauf eines Bruchteils. In einer Nacht vergraben die Schildkröten mehr als eine Million Eier. "Die Gelege auf sieben Kilometern unseres Strandes rühren wir nicht an, nur auf dem achten Kilometer entnehmen wir einen Teil", erläutert Rojas. Rund 30 Prozent des Erlöses gehen demnach in das kommunale Projekt zur Bezahlung des Biologen und der Strandwächter, in eine Rente für ältere Anwohner, Stipendien für Schüler und Sozialprojekte.

Ostional hat Verbündete
Aber Ostional hat ein Problem: Der Ort befindet sich weniger als 200 Meter vom Strand entfernt. Das ist laut einem seit 30 Jahren bestehenden Umweltgesetz nicht erlaubt. Die Regierung von Friedensnobelpreisträger Oscar Arias hat nun angekündigt, in fünf Dutzend Fischerdörfern durchzugreifen. Landesweit wären davon mehr als 50.000 Einwohner betroffen. Rojas spricht von einem Skandal: "Das Umweltministerium betreibt keinen Naturschutz, sondern eine Vertreibungspolitik zugunsten touristischer Großprojekte." Die Hügel hinter Ostional würden schon bald von ausländischen Investoren aufgekauft. "Unser Dorf versperrt ihnen den direkten Weg zum Strand."

Doch Ostional hat Verbündete, denn Wissenschaftler der Universität von Costa Rica begleiten das Schildkrötenprojekt. Zudem hat Rojas bei mehreren Abgeordneten in der Hauptstadt San Jose vorgesprochen - deshalb hat er auch Feinde: Schon zweimal schoss ein Unbekannter aus dem Hinterhalt auf ihn, als er nachts als Wächter der Schildkröteneier am Strand patrouillierte. Beim letzten Mal verletzte ihn eine Kugel am Bein, wie er berichtet. Aber die Polizei habe seine Anzeige wegen Nichtigkeit niedergeschlagen.

Wenige Kilometer südlich, am Playa Pelada, leben die Meeresanrainer schon seit über einem Jahrhundert. Doch die meisten Hütten sind heruntergekommen, denn das Ministerium verbiete ihnen, auch nur einen Nagel zur Reparatur einzuschlagen. "Für die Öffentlichkeit sind wir unsichtbar. Vielleicht haben wir uns bisher nicht laut genug beschwert", sagt Harry Duarte Rojas, Sprecher der örtlichen Bürgerinitiative gegen die drohende Vertreibung. Auch ihnen wird kein Ausweichort angeboten.

Misst Costa Rica mit zweierlei Maß?
Was für ein Kontrast: Während die Einheimischen um ihre Existenz fürchten, bleibt ein umzäuntes Luxusdomizil gleich nebenan unbehelligt. Vor zwei Jahren erhielten die finanzstarken US-Investoren die Baugenehmigung für das Anwesen "Las Palmas".

Weitere Gebäude sollen entstehen, direkt neben den verfallenden Hütten. Das Beispiel nährt den Verdacht, dass in Costa Rica mit zweierlei Maß gemessen wird. Nicht nur, dass das Ministerium bei Großinvestoren beide Augen zudrückt; es hilft angeblich auch bei der Vertreibung unliebsamer Nachbarn. Fischer berichten, sie seien von Patrouillen des Ministeriums mit vorgehaltener Flinte daran gehindert worden, ein undichtes Dach zu reparieren. Und nur fünf Meter weiter hätten die Eigentümer von "Las Palmas" unbehelligt den gesamten Wald im gleichen Schutzgebiet roden können - damit deren Bewohner Meerblick haben.