Obamas Gesundheitsreform ist ins Schleudern geraten

Zuviel verlangt?

Die Gesundheitsreform in den USA, Barack Obamas wichtigstes Reformprojekt, ist ins Schleudern geraten. Je mehr Details bekannt werden, umso mehr wachsen Kritik und Fragen - von den oppositionellen Republikanern, aber auch aus den Reihen der Demokraten. So kam es, dass der US-Präsident die Reform zur Chefsache erklärte und diese Woche auf fast allen Kanälen dafür warb.

Autor/in:
Konrad Ege
 (DR)

Warten nütze nichts, sagte Obama am Mittwochabend (Ortszeit) bei einer Pressekonferenz. Nichtversicherte und Unterversicherte litten Not, der Kongress müsse zügig handeln. Die Reform soll den rund 50 Millionen nicht krankenversicherten US-Amerikanern - etwa 16 Prozent der Bevölkerung - Versicherungsschutz bieten. Jeder müsse «Zugang haben zu einer bezahlbaren Versicherung», das hatte Obama schon im Wahlkampf versprochen. Ebenso wichtig sei es, die Arzt-, Krankenhaus und Arzneimittelkosten zu zähmen. Nach Angaben der «New York Times» zahlen US-Haushalte durchschnittlich 15.000 Dollar im Jahr für «Gesundheit», etwa doppelt so viel wie vor 20 Jahren, und wesentlich mehr als Bürger anderer Industrienationen.

Die Diskussion über die Gesundheitsreform ist ein Rorschach-Test. Republikaner schlagen Alarm, Obama wolle das Gesundheitswesen «verstaatlichen». Es wäre eine «nationale Schande», sollte die Reform scheitern, warnte dagegen Ted Kennedy, demokratischer Senator. Aber nicht nur Republikaner und Demokraten liegen im Clinch, Obama hat auch Schwierigkeiten mit seiner demokratischen Basis. Die Reform gehe nicht weit genug, sagen die Kritiker von links. Obama rüttle zu wenig an der Macht der Versicherungsindustrie, er serviere «neuen Wein in alten Schläuchen».

Das Gesundheitswesen der USA ist wegen seiner Marktwirtschaftsorientierung einzigartig. Es gibt keine gesetzliche Krankenversicherung. 60 Prozent der versicherten Amerikaner sind über den Arbeitgeber bei einem der knapp 1.300 privaten Versicherungskonzerne versichert. Ein Drittel der Arbeitgeber bietet keine Krankenversicherung an. Neun Prozent der Versicherten zahlen die Beiträge selber. 14 Prozent sind entweder durch Medicare, die staatliche Versicherung für Senioren, versorgt oder Medicaid sowie andere Hilfsprogramme für Bedürftige.

In der gegenwärtigen Rezession häufen sich Horrorgeschichten von Bürgern ohne Versicherung. Senator Kennedy, der gegenwärtig selber behandelt wird wegen eines Gehirntumors, zitiert als symptomatisch den Fall einer Lehrerin im Bundesstaat South Dakota: Die Frau, die ihre Stelle verloren hat, findet mit 58 Jahren, einem Herz-Bypass und der Diagnose Diabetis keine Krankenversicherung mehr. Die Firmen stellen im allgemeinen keine Policen aus für Antragsteller mit «vorexistierenden Gesundheitsproblemen».

Das Reformpaket, das nun im Weißen Haus und im US-Kongress Gestalt annimmt und in der Version des Repräsentantenhauses 1.000 Seiten umfasst, würde vorschreiben, dass alle US-Amerikaner eine Krankenversicherung abschließen müssen. Der Staat würde Einkommensschwachen unter die Arme greifen. Versicherungskonzerne dürften nicht mehr diskriminieren. Zudem würden die Regierung oder die einzelnen Bundesstaaten staatliche Versicherungen als «Alternativen» zu den privaten einrichten.

Eine gesetzliche Krankenversicherung wie in Deutschland und im Nachbarland Kanada steht nicht zur Debatte. Umstritten bleibt, wie die Reform bezahlt wird. Demokraten im Repräsentantenhaus haben eine Zusatzsteuer für die «Superreichen» vorgeschlagen. Es steht auch zur Diskussion, die Versicherungsleistungen des Arbeitgebers als Einkommen zu besteuern. Das wird von den Gewerkschaften abgelehnt. Konservative Demokraten warnen generell, das Vorhaben sei zu teuer.

Die seit Obamas Wahlsieg etwas orientierungslosen Republikaner hoffen, dass der Streit über die Gesundheitsreform Ansehen und Autorität des demokratischen Politikers schmälern wird. Der republikanische Senator Jim De Mint spekulierte Anfang der Woche in einem seither viel zitierten Spruch, ein Scheitern der Reform könne Obamas «Waterloo» werden. In einem von der Internetzeitung huffingtonpost.com entdeckten internen republikanischen Arbeitspapier heißt es, man müsse die Reform mit «allen verfügbaren Mitteln» verlangsamen.

Obama gab sich am Mittwochabend dennoch optimistisch, dass die Gesundheitsreform noch in diesem Jahr beschlossen wird. Die Demokraten haben aber böse Erinnerungen. 1993 und 1994 scheiterte das Reformprojekt des damaligen Präsidenten Bill Clinton am Widerstand der Versicherungsindustrie und der Republikaner - und weil sich die Demokraten nicht einigen konnten auf den komplexen Plan. Auch der war 1.000 Seiten lang.