Kirchen kritisieren Umgang mit der Krise - Minister applaudiert

Kalte Dusche für den Aufschwung?

Die Aktienkurse klettern aus dem Tiefkeller, auch im Baugewerbe geht es sanft bergauf, und die Abwrackprämie kurbelt eifrig den Verkauf von Neuwagen an. Schon sehen manche Experten das Ende der Rezession zum Greifen nah. "Wer so denkt, hat nichts gelernt", kritisiert der Bischof von Limburg, in dessen Gebiet die Bankenmetropole Frankfurt liegt. Angesichts steigender Aktien warnte Franz-Peter Tebartz-van Elst davor, rasch zur Tagesordnung überzugehen. Mit dieser kalten Dusche für das zarte Pflänzchen "Aufschwung" steht der Bischof nicht allein.

Autor/in:
Thomas Winkel
 (DR)

Zahlreiche Kirchenmänner und einige Kirchenfrauen sparen nicht mit Kritik an der weltweiten Finanzkrise - ebenso wenig wie an ihren Verursachern. Sozialbischof Reinhard Marx spricht schonungslos von zu großer Risikobereitschaft, fehlerhafter Geschäftspolitik und unzureichender staatlicher Aufsicht. Die Diagnose des Münchner Erzbischofs: «Es gibt eine Krise im System!» Sein Rezept: kein «neues System», sondern eine Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft..

Ordensschwester Jordana Schmidt formuliert lyrischer, aber nicht weniger brisant: Ein «Rettungspaket Mensch» müsse jetzt genauso schnell geschnürt werden wie ein «Rettungspaket Finanzmarkt» - so der Wunsch der Dominikanerin, die oft das «Wort zum Sonntag» spricht. Marx und Schmidt äußern sich in dem Buch «Freiheit und Verantwortung», das in diesen Tagen im Leipziger Benno-Verlag erscheint und für 9,90 Euro «Wegweisungen in Zeiten der Wirtschaftskrise» verspricht. Auch Erzbischof Robert Zollitsch und der vielschreibende Benediktiner Anselm Grün beziehen darin Position
- und nicht zuletzt Papst Benedikt XVI., dessen erste Sozialenzyklika «Caritas in veritate» (Die Liebe in der Wahrheit) komplett abgedruckt ist.

Beifall für so manches kritisches Wort aus Kirchenmund klatscht jetzt ausgerechnet der Bundesfinanzminister. Peer Steinbrück (SPD) lobte in der «Süddeutschen Zeitung» die jüngsten kirchlichen Äußerungen zur Krise als Beiträge zu einem «Bündnis gegen die Renaissance der Marktgläubigkeit». Ausdrücklich bezieht sich der Minister dabei auf die Enzyklika und ein Papier der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), das bei Bankern und Bürgern eine Mentalität des «schnellen Geldes» beklagt. Beide Texte waren vor wenigen Wochen fast zeitgleich erschienen, und beide nennt Steinbrück in einem Atemzug «sehr ermutigend».

Dabei sind einzelne Vorstöße des Papstes durchaus umstritten: Um die Folgen der Krise zu meistern und die Weltwirtschaft zu lenken, verlangt er eine weltweite Steuerungsinstanz - nach Ansicht des katholisches Sozialethikers Friedhelm Hengsbach eine überholte Forderung. Heute könne man froh sein, wenn sich überhaupt mehrere Staaten zu Organisationen zusammenschlössen, so der Jesuit. Einig weiß er sich mit dem katholischen Kirchenoberhaupt in der Verurteilung von Profitgier und Egoismus - und in der Auffassung, dass der Mensch die Veränderung ungerechter Verhältnisse selbst in die Hand nehmen kann.

Zu diesem Schluss kommt auch Erzbischof Robert Zollitsch. Als eine der Lehren aus der Krise müsse «die Verantwortung des Einzelnen, der Unternehmen sowie der verschiedenen Interessengruppen» in den Vordergrund rücken, so die Botschaft des Bischofskonferenz-Vorsitzenden. Ergänzt durch drei Wörter und ein Ausrufezeichen: «Freiheit braucht Moral!» Als ehemaliger Vorsitzender des Verwaltungsrats des Verbands der Diözesen Deutschlands ist Zollitsch mit Finanzen und Bilanzen vertraut. Und betont, dass die meisten Bankangestellten «ganz seriös ihre Arbeit getan» hätten: «Viele von ihnen sind selbst von der Krise massiv betroffen.»

Trotzdem: Sparen beim Spenden - das kommt für die meisten Deutschen trotz der Krise nicht in Frage. 2008 griffen sie sowohl für Caritas international als auch für die Diakonie Katastrophenhilfe tiefer ins Portemonnaie als im Jahr zuvor; der Zuwachs beträgt bis zu 15 Prozent. Von Kurssprüngen in dieser Größenordnung wagt man an den Börsen derzeit nicht mal mehr zu träumen.