Bundesregierung zieht insgesamt positive Bilanz der Behindertenpolitik

Defizite in der Umsetzung

Die Bundesregierung sieht Fortschritte in der Politik für behinderte Menschen. Das geht aus dem Bericht über die Lage der Menschen mit Behinderungen hervor, den das Kabinett am Mittwoch in Berlin beschlossen hat. Der Bericht wurde von Bundessozialminister Olaf Scholz (SPD) vorgelegt. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) bezeichnete den Behindertenbericht hingegen als "vage".

 (DR)

Dem Bericht zufolge ist in der großen Koalition die unter der rot-grünen Vorgängerregierung eingeleitete Politik zur Stärkung der Selbstständigkeit von Behinderten fortgesetzt worden. Defizite gebe es allerdings in der praktischen Umsetzung. Über einen nationalen Aktionsplan, in dem alle Maßnahmen zusammengefasst und Fortschritte dokumentiert werden, konnte sich die Koalition nicht einigen. Scholz strebt einen solchen Plan an.

Zur positiven Bilanz der vergangenen Jahre zählen dem Regierungsbericht zufolge das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gegen Diskriminierung, Rechtsansprüche auf Unterstützung am Arbeitsplatz sowie das sogenannte Persönliche Budget, mit dem behinderte Menschen Hilfs- und Pflegeleistungen selbst planen und bezahlen können. Als Erfolg wertet die Regierung auch die schnelle Unterzeichnung und Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen (UN) über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Probleme bestehen dem Bericht zufolge allerdings weiterhin bei der Umsetzung. Von dem persönlichen Budget machen erst 10.000 Menschen Gebrauch. Abstimmungsprobleme zwischen den Leistungsträgern für die Frühförderung behinderter Kinder gehen weiterhin zu Lasten von Kindern und Eltern. Die seit 2002 möglichen Zielvereinbarungen zwischen der Privatwirtschaft und Behindertenverbänden über barrierefreie Zugänge etwa zu Hotels oder Internetseiten kommen nicht zustande. Laut Bericht gibt es erst acht solcher Vereinbarungen.

In Deutschland leben rund acht Millionen behinderte Menschen. Die meisten von ihnen haben ihr Handicap erst im Lauf ihres Lebens erworben. Die Arbeitslosigkeit unter ihnen ist laut Bericht zwischen 2005 und 2008 um 14 Prozent gesunken. Die Zahl der Grundsicherungsempfänger (Hartz IV) unter den erwerbsfähigen Behinderten stieg allerdings um drei Prozent. Private Arbeitgeber beschäftigen 4,3 Prozent schwerbehinderte Arbeitnehmer, Bundesbehörden mit 8,5 Prozent doppelt so viele. Schwerbehinderte sind in der Regel Menschen mit erworbenen Handicaps und häufig weniger stark beeinträchtigt als Menschen, die von Geburt an körperlich oder geistig behindert sind.

In der nächsten Legislaturperiode müsse die Integration behinderter Menschen ins Arbeitsleben und die behinderter Kinder an Regelschulen forciert werden, so der Bericht. In Deutschland gehen nur knapp 16 Prozent der behinderten Kinder gemeinsam mit nichtbehinderten zur Schule. Die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen verlangt ein Ende der Trennung.

Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Karin Evers-Meyer, erklärte, es gebe bereits eine öffentliche Debatte, wie alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden könnten. Verantwortlich für die Umsetzung der Integration behinderter Kinder an Regelschulen sind die Bundesländer. Insgesamt zeige der Bericht, dass nach großen Schritten in der Gesetzgebung nun viele kleine zur Umsetzung folgen müssten, erklärte Evers-Meyer.

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) bezeichnete den Behindertenbericht hingegen als «vage». Die Bundesregierung habe sich keine kontrollierbaren Ziele gesetzt, kritisierte der Vorsitzende des AWO-Bundesverbandes, Rainer Brückers. Insbesondere fänden die Belange von Menschen mit psychischen Behinderungen zu wenig Beachtung.