Kanzlerin Merkel besucht vor Beginn des G-8-Gipfels Erdbebenopfer in Onna

"Etwas aufbauen, wo wir früher etwas zerstört haben"

Wenige Stunden vor Beginn des G-8-Gipfels im italienischen L'Aquila hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den vom Erdbeben zerstörten Ort Onna besucht. Dort hat Deutschland - 60 Jahre nach einem NS-Massaker - seine Katastrophenhilfe für die Abruzzen konzentriert. Gemeinsam mit dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi ging Merkel am Mittwoch durch die Trümmer von Onna zum quadratischen Hauptplatz mit der eingestürzten Kirche, die mit deutschen Mitteln wieder aufgebaut werden soll.

Autor/in:
Bettina Gabbe
 (DR)

Der Bevölkerung dankte die Kanzlerin für die Möglichkeit, helfen zu können. Sie sei froh, «nachdem Deutschland hier 1944 solchen Schaden und solche Schrecknisse angerichtet hat, zeigen (zu) können: Die Welt hat sich verändert», sagte sie. Der Wiederaufbau der Kirche aus Bundesmitteln habe auch einen symbolischen Wert: «Jetzt können wir endlich etwas aufbauen, wo wir früher etwas zerstört haben.» Mit ihrem Besuch habe sie sich «einen persönlichen Eindruck vom Ausmaß der Zerstörungen» machen wollen, sagte sie.

Sie traf auf Bürger des Ortes, die im benachbarten Zeltlager untergebracht und von der Unterstützung der neun Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks (THW) begeistert sind. Merkel schüttelte ihnen die Hände und begrüßte sie auf Italienisch mit «Buon giorno». Als Dank für deutsche Hilfe überreichten Kinder ihr einen Strauß Sonnenblumen und weißen Rosen. Zusätzlich erhielt sie vor der Kulisse eingestürzter Häuser ein Säckchen mit weißen Bohnen, einer Spezialität der lokalen Landwirtschaft. Merkel bedankte sich mit «Mille grazie».

Die italienischen Behörden hatten eigens für diesen Besuch die Trümmer des zu 90 Prozent zerstörten Ortes bis zum G-8-Gipfel liegen lassen. So nutzte der italienische Ministerpräsident Berlusconi den gemeinsamen Spaziergang mit der Kanzlerin in Onna, um seinen durch Skandale um sein Privatleben beschädigten Ruf durch das Image des Helfers in den Trümmern aufzubessern. Den Bewohnern versprach er, sie könnten die Holzhäuser, die zwischen dem zerstörten Dorf und dem Zeltlager aufgebaut werden, im September beziehen.

In Onna schreitet der Aufbau der Holzhäuser anders als andernorts in den Abruzzen wegen des deutschen Engagements rasch voran.

Ursprünglich hätten die Bewohner ebenso wie die Bevölkerung anderer zerstörter Weiler in zentralen, vom Heimatort entfernten Zeltlagern untergebracht werden und in neue Viertel aus Fertighäusern ziehen sollen. Aus Angst, dass diese Lösung sie von ihren Wurzeln trennen und - anders als Holzunterkünfte - zur dauerhaften Wohnstätte werden könnte, wehrten die Bewohner von Onna sich von deutscher Präsenz gestärkt erfolgreich gegen die Verlegung.

Die 280 Bewohner des Zeltlagers von Onna vertrauen für den Wiederaufbau vor allem auf Deutschland, obwohl die Bundesregierung nur die Kirche aufbaut und das THW neben der Installation von Rohren und Kabeln im Zeltlager nur zur Bergung von persönlichen Gegenständen und Kunstdenkmälern wie Hunderte von Jahre alten Portalen aus den Trümmern beiträgt.

Die Partnerstadt Rottweil plant die Errichtung eines Gemeindezentrums in Onna. Da die Bewohner aber ein Anrecht auf Finanzierung ihrer Privathäuser durch die italienische Regierung haben, ist Deutschland am Wiederaufbau der Wohnungen nur indirekt etwa durch technische Hilfe bei der Erdbebensicherung beteiligt.

«Hier fehlt es an allem. Was ist uns schon geblieben», sagt Marco Diassini mit schleppender Stimme. Er fährt beim Besuch der Kanzlerin im Rollstuhl über die staubigen Wege der Zeltstadt von Onna. Er vertraue auf die Deutschen, sagt er. Fragen nach italienischen Versprechungen für einen raschen Wiederaufbau quittiert er mit einem Achselzucken.

Auch Patrizia Calegaro zeigt sich «sehr froh» über den Besuch aus Deutschland. Ebenso wie Diassini kann sie die Tränen nicht zurückhalten, als sie erzählt, wie ihr Vater zufällig in Onna vorbeikam, sich verliebte und nach wenigen Monaten heiratete, «weil das hier ein wunderschöner Ort war». Nach Wochen eines tatkräftigen Optimismus und dem Staunen, das Erdbeben vom 6. April überlebt zu haben, kommt mit dem eigens für die Erdbebenopfer nach L'Aquila verlegten G-8-Gipfel die Verzweiflung wieder hoch.

«Die Frauen müssen die Dinge in die Hand nehmen», sagt die Bundeskanzlerin den trotz Klimaanlagen in den Zelten unter der brütenden Hitze leidenden Bewohnern von Onna. «Dazu wünsche ich Ihnen viel Kraft.»