Ein wenig hektisch legt eine Frau Käse, Baguette und eine Flasche Wein aufs Band, hinter ihr eine lange Schlange: Nur eine Supermarktkasse ist heute geöffnet. Ein paar Meter weiter wartet eine Gruppe vor einer überfüllten American-Breakfast-Kette; daneben füllt ein arabischer Händler seine Obstregale in der Sonne auf. Nur wenige Schritte entfernt kommen Leute aus der Kirche Saint Paul im Pariser Marais-Viertel.
Es ist Sonntag, ein ganz normaler Sonntag. Die Geschäfte sind
geöffnet: Sonderregelungen im Gesetz machen es möglich. Während die einen ausschlafen, andere an den sonntags für Autos gesperrten Ufern der Seine joggen, müssen etliche zur Arbeit: "Dafür habe ich als Ausgleich in der Woche einen Tag frei, das hat auch Vorteile", meint eine Kassiererin.
Allein im Großraum Paris haben knapp 200 Geschäfte geöffnet. Viele genießen es, am Sonntag frische duftende Croissants vom Bäcker zu bekommen. Internetseiten helfen kaufwilligen Konsumenten, den passenden Ort fürs sonntägliche Shopping zu finden. Auch viele Wochenmärkte auf den Kirchplätzen laden die Kunden ein. Dazu schreibt Veronique in einem Internetforum mit einem Zwinkern: "Man kann also nach der Sonntagsmesse in Ruhe und gesegnet einkaufen gehen. Wer weiß, vielleicht gehen sogar Leute zur Messe, nur weil sie beim Einkaufen zufällig die Kirche sehen."
In Zeiten der Finanzkrise sind die Prioritäten anders
Vielen im laizistischen Frankreich geht es in der Diskussion über den heiligen Sonntag gar nicht um den Kirchgang, sondern um vor allem um Ruhe und ein Stück Lebensqualität. In einem Gesetz von 1906 ist der Sonntag in Anlehnung an die christliche Tradition als Ruhetag festgeschrieben, um Zeit für die Familie zu haben. Ziel war es, den Arbeitern eine durchgehende Pause von 24 Stunden zu gewähren. In Zeiten der Finanzkrise sind die Prioritäten anders: Die Sonntagsarbeit sei wirtschaftlich erschwinglich und sollte daher ausgebaut werden, fordern viele.
Inwieweit die Arbeit am Sonntag wirklich lukrativer ist, ist eine andere Frage. Sonntags sein Geschäft zu öffnen, kommt die Inhaber dreimal teurer als an Werktagen. Die höheren Preise werden auf den Kunden umgelegt, egal, ob er während der Woche einkaufen geht oder eben am Sonntag, ergab eine Studie für das französische Wirtschaftsministerium. Präsident Nicolas Sarkozy schlug 2008 die sonntägliche Ladenöffnung auch deshalb vor, weil Frankreich das Land mit den meisten Touristen sei und allein deshalb Bedarf bestehe.
Ausnahmen für das alte Gesetz von 1906 gab es schon früher, und immer wieder wurden neue hinzugefügt. Besonders für ausländische Besucher ist diese Situation unverständlich. Keiner versteht, warum die Luxusläden auf den Champs-Elysees geschlossen sind und warum sich kleine Läden erst Designerboutiquen nennen müssen, damit sie auf einer touristischen Straße auch sonntags ihre Kleidung an den Mann bringen dürfen. Dass Möbelgeschäfte öffnen dürfen, wurde bereits Ende 2007 beschlossen.
"Ich gehe regelmäßig in die Kirche"
Um den vielen Ausnahmen ein Ende zu bereiten, wird das Gesetz überarbeitet und nun ab Dienstag in der Nationalversammlung diskutiert. Dass es in der Diskussion eigentlich um den Sonntag als einen heiligen Ruhetag geht, gerät oft in Vergessenheit: "Ich gehe regelmäßig in die Kirche", sagt Suzanne, eine zierliche junge Frau: "Danach noch einkaufen zu gehen - das wäre vielleicht praktisch, aber am Sonntag gehört das für mich nicht dazu."
Für viele Franzosen ist der Gang zum Araber ums Eck, zum Waschsalon oder in die schicke Boutique an einem Sonntag dagegen normal. "Die Leute haben sich das angewöhnt", sagt Dominique, Leiter der Filiale eines großen Pariser Einrichtungshauses. Shoppen gilt als gesellschaftliches Element gegen Langweile. Trotzdem sollte man sich selbst die Frage stellen, ob man sonntags arbeiten möchte - meint zumindest Charles, Leiter eines Supermarktes. Das könnte eine Anregung für die Nationalversammlung sein. Womöglich könnte sie die Debatte über die neuen Vorschläge im Selbsttest an einem Sonntag führen.
Frankreich diskutiert Ladenöffnung an Sonntagen
Am siebten Tag wird konsumiert
Die französische Nationalversammlung debattiert ab diesem Dienstag über die Ausweitung der Ladenöffnung an Sonntagen. Diskutiert wurde bereits viel im Vorfeld. Dabei wurde deutlich: Vielen in dem laizistischen Land geht es gar nicht um den Kirchgang, sondern vor allem um Ruhe und ein Stück Lebensqualität.
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