Die Lage von Christen in der Türkei zum Ende des Paulusjahres

Viele Pilger - aber "keine Verbesserungen"

Der Prospekt verspricht eine "märchenhafte" Türkeireise und lockt mit Insidertipps: "Majestätische Felsen mit Kirchen aus den Anfängen des Christentums", und "Ihr Scout zeigt Ihnen, wo Paulus eine seiner wichtigsten Predigten hielt". Doch das Leben ist kein Katalog. Die christliche Minderheit in der Türkei fühlt sich beileibe nicht wie im Märchenland. Immer wieder sehen sich Christen Schikanen ausgesetzt, auch während des von Papst Benedikt XVI. ausgerufenen Paulusjahres, das am Sonntag zu Ende geht.

Autor/in:
Thomas Winkel
 (DR)

Große Hoffnungen waren etwa mit dem Namen der alten Hafenstadt Tarsus am Mittelmeer verknüpft, dem Geburtsort des Apostels Paulus. Von türkischer Seite gab es immerhin die Zustimmung, dass in der dortigen Kirche Gottesdienste gefeiert und unentgeltlich besucht werden dürfen. Normalerweise fungiert das lichtdurchflutete Gebäude als Museum, für das Eintrittsgeld fällig ist. Doch die neue Regelung gilt nur während des Paulusjahres. Wie es ab Montag weitergeht, ist offenbar noch ungeklärt.

Zahlreiche katholische Bischöfe hatten den Wunsch geäußert, die Kirche solle dauerhaft für Gottesdienste zur Verfügung stehen. Vor allem der Kölner Kardinal Joachim Meisner setzte sich dafür ein: «Wir brauchen Rom mit Petrus und Tarsus mit Paulus», so Meisner in einem Interview während einer Türkeireise im Herbst. Irgendwann deutete sich dann eine Lösung mit Hilfe einer Stiftung an. Aber bis jetzt liege immer noch «kein fassbares Ergebnis» auf dem Tisch, bemängeln damit befasste Stellen in Deutschland.

Und dennoch: Der Vorsitzende der Türkischen Bischofskonferenz, Bischof Luigi Padovese, zieht eine positive Bilanz. Im Paulusjahr habe man auf eine hohe Zahl von Pilgern gehofft, und «das hat sich erfüllt», sagte Padovese bereits vor längerem. Kirchliche Beobachter in Brüssel sind zudem davon überzeugt, das Gedenkjahr habe dazu beigetragen, den Blick der EU-Institutionen auf die Lage der Christen unter dem Halbmond zu schärfen. Wobei die Reformen in Sachen Religionsfreiheit deutlich zurückgehen, wie EU-Kommissar Günter Verheugen unlängst kritisierte.

Ohnehin seien für die Christen im Land grundsätzliche Verbesserungen mindestens so wichtig wie etwa das Gotteshaus in Tarsus, geben Kirchenstellen zu bedenken. Zwar herrscht in dem Staat am Bosporus, der von Europa so viel mehr möchte als eine privilegierte Partnerschaft, offiziell Religionsfreiheit. Doch schon ein Blick in den Pass zeigt, wer Muslim oder Christ ist. Und: «Die Gleichsetzung von türkisch und muslimisch ist über die vergangenen Jahre stärker geworden», moniert der evangelische Bischof Wolfgang Huber.

Bei seinem Türkeibesuch 2006 fand Papst Benedikt XVI. viele freundliche, aber auch kritische Worte: Die christliche Minderheit, so der Papst, stehe jeden Tag vor «nicht geringen Herausforderungen und Schwierigkeiten». Aktuellster Zankapfel: das syrisch-orthodoxe Kloster Mor Gabriel im Südosten des Landes. Das 1.600 Jahre alte Kloster sieht sich einer Prozesswelle ausgesetzt. Gemeinden aus dem Umland erheben Anspruch auf Klosterland, Schatz- und Forstbehörden ebenfalls. Kritiker vermuten hinter dem Streit ohnehin nur einen Vorwand, um das Kloster weiter zu schwächen. Sie sind überzeugt: Egal, wie die Urteile ausfallen - früher oder später, wenn das Paulusjahr längst abgelaufen ist, werden für Mor Gabriel neue Probleme auftauchen.

Doch schon jetzt ziehen viele kirchliche Stellen ein nüchternes Fazit. Für die Christen des Landes habe es «keinerlei Verbesserungen» gegeben, so der katholische Türkei-Experte Otmar Oehring. Dabei zählt die Türkei zu den wichtigsten Regionen der antiken Kirche. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten die Christen etwa 30 Prozent der Bevölkerung; bis heute schrumpfte ihr Anteil auf 0,2 Prozent. Auch wenn sie nicht (aus-)gestorben sind - die wenigsten von ihnen leben dort glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Märchenhaft klingt das nicht.