Karlsruhe verhandelt über Verfassungsbeschwerde der Kirchen

Shoppen vor Gericht

Der Schutz der Sonn- und Feiertage steht aus Sicht der Kirchen zunehmend auf dem Spiel. Besonders im Bundesland Berlin. Gegen die dortige Regelung haben die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und das Erzbistum Berlin Verfassungsbeschwerde eingereicht. Die mündliche Verhandlung dazu findet am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht statt.

Autor/in:
Michael Jacquemain
 (DR)

Zufall ist es, dass am selben Abend der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und der evangelische badische Landesbischof Ulrich Fischer ihren Jahresempfang für Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichtshof und Bundesanwaltschaft ausrichten. Wenn dabei der scheidende Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering (CDU), über «Werte, Politik, Wirtschaft» aus europäischer Perspektive spricht, greift er letztlich genau das Thema auf, über das am Vormittag verhandelt wird.

Mit der deutschen Föderalismusreform ging 2006 die Gesetzgebungskompetenz für die Ladenöffnungszeiten auf die Länder über. Die liberalste Regelung verabschiedete die Hauptstadt: Ohne die Erfüllung irgendwelcher Voraussetzungen kann dort an allen vier Adventssonntagen zwischen 13.00 und 20.00 Uhr eingekauft werden; vier weitere Sonn- und Feiertage können «im öffentlichen Interesse» durch die Senatsverwaltung ohne Uhrzeitbeschränkung freigegeben werden. An zwei weiteren Sonn- oder Feiertagen mit «besonderen Ereignissen» darf von 13.00 bis 20.00 Uhr geshoppt werden. In den meisten anderen Bundesländern sind lediglich vier Sonn- und Feiertage pro Jahr fürs Einkaufen vorgesehen. In Baden-Württemberg sind es drei, in Brandenburg sechs.

Vor allem die Freigabe an den Adventssonntagen bewog die Kirchen zur Klage. Landesbischof Wolfgang Huber wertete die Regelung als Skandal, weil der Sonntag damit im Dezember als Werktag zur Regel werde. Außerdem führe dies zur noch stärkeren Kommerzialisierung der Vorweihnachtszeit. In einer Plakatkampagne hatte die Landeskirche
2006 dafür geworben, «die Sonntage als Ruhepunkte in einer unruhigen Zeit zu gestalten». Doch auch prinzipiell sehen die Kirchen die Liberalisierung kritisch. «Wir sind drauf und dran, die gemeinsame Zeit für die Familie zu gefährden und wichtige Institutionen unserer Sozialkultur aufs Spiel zu setzen», sagte Berlins Kardinal Georg Sterzinsky, der ebenso wie Huber zur Verhandlung nach Karlsruhe anreisen will. Der Sonntag, so der Kardinal, sei zunehmend der einzige Tag, an dem Eltern und Kinder füreinander Zeit hätten.

Rückendeckung erhalten die Kirchen von den Gewerkschaften. Dagegen halten erwartungsgemäß der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels
(HDE) und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe
(BAG) die Verfassungsbeschwerde für unzulässig und unbegründet. Bei der mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat unter Leitung des Gerichtspräsidenten, Hans-Jürgen Papier, müssen die Kirchen deutlich machen, warum sie Grundrechte verletzt sehen. Der in der Verfassung verbürgte Schutz der Sonn- und Feiertage, so ihre Argumentation, beziehe sich nicht nur auf die Möglichkeit, Gottesdienste abhalten zu können, sondern es gehe um die institutionelle Garantie zur «seelischen Erhebung» - also um die Verknüpfung von Arbeitsruhe und Religion. Rein wirtschaftliche Motive seien nicht ausreichend, um die Berliner Regelung zu rechtfertigen.

Berichterstatter und damit im Senat für das Verfahren federführend verantwortlich ist der Richter Wilhelm Schluckebier. Bei den ersten, nicht-öffentlichen Beratungen entschieden die Richter, dass eine mündliche Verhandlung notwendig ist. Dies lässt den Schluss zu, dass Karlsruhe das Thema sehr ernst nimmt. AZ: (1 BvR 2857/07) und (1 BvR
2858/07)