Buch zur "unbekannten kulturpolitische Macht" zum kostenlosen Download

Kultur und Kirche

Die Kirchen sind eine weitgehend unbekannte kulturpolitische Macht in Deutschland. Ein Buch will nun Licht ins Dunkel bringen - und das mit Beiträgen namhafter Autoren wie Kardinal Karl Lehmann, Bischof Wolfgang Huber und Vicco von Bülow. Lesen Sie hier das Vorwort von Herausgeber Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat.

 (DR)

Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht
Die Kirchen sind eine weitgehend unbekannte kulturpolitische Macht in Deutschland. Auch in politik und kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates wurde sich nur in großen Abständen und in einzelnen Artikeln mit dem Thema Kultur und Kirche beschäftigt. Mit einem Schwerpunkt in politik und kultur im September 2006 haben wir diese "Vernachlässigung" aufgegeben und die Kirchen und ihr Verhältnis zu Kunst und Kultur ausführlicher vorgestellt und diskutiert. Ziel dieser Schwerpunktsetzung war es, im kulturpolitischen Bereich die Sinne zu schärfen, dass in der Zukunft die Kirchen bei kulturpolitischen Fragen öfter mitgedacht werden. Kirche als einen der bedeutendsten Orte der Kultur zu zeigen, ist ein gewagtes Unterfangen in einer Zeit der religiösen Auseinandersetzungen, der Debatten um Leitkultur, des oftmals religiös motivierten "Kampfes der Kulturen". Sechs Gründe haben mich dazu bewogen, das Experiment trotzdem zu wagen:

1. Gesellschaft und Kirche
Die Wirkungen der beiden großen christlichen Kirchen auf das kulturelle Leben in Deutschland sind allerorts zu spüren. Sie beschränken sich nicht auf die Mitglieder der Kirchen, sondern haben ein universelles gesellschaftliches Gepräge. In der kulturpolitischen Debatte spielt dieser Umstand eine erstaunlich geringe Rolle.

2. Kulturförderung und Kirche
Die Kirchen gehören laut eines Gutachtens von Matthias Theodor Vogt und anderen für die Enquete- Kommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages ausweislich ihrer fi nanziellen Aufwendungen zu den zentralen kulturpolitischen Akteuren in Deutschland. Die Gutachter schätzen die Kulturfördermittel der Kirchen auf ca. 4,4 Milliarden Euro im Jahr ein. Die Kirchen setzen, so schreiben die Gutachter weiter, vermutlich etwa 20 % ihrer Kirchensteuern und Vermögenserlöse für ihre kulturellen Aktivitäten ein. Die Kirchen liegen mit diesen Aufwendungen für Kultur im Vergleich der öffentlichen Ebenen auf einem der vorderen Plätze, mindestens aber gleichauf mit den Gemeinden (3,5 Milliarden Euro) und Ländern (3,4 Milliarden Euro). Bei insgesamt knapp 8 Milliarden Euro staatlicher Kulturförderung des Bundes, der Länder und Gemeinden 2004 spielen die Kirchen eindeutig die herausragende Rolle bei der Kulturfi nanzierung außerhalb des Staates.

3. Künstler und Kirche
Doch diese nackten Zahlen zeigen nicht die wahre Bedeutung des Verhältnisses von Kultur und Kirche. Die Kirchen haben die Künste über viele Jahrhunderte geprägt, befördert und behindert. Sie waren und sind, heute in erheblich kleinerem Umfang als früher, Auftraggeber für Maler, Bildhauer und Komponisten. Viele dieser Auftragswerke sind heute der Kanon unserer Kunst.

4. Kunst und Kirche
Kunst und Kirche ist ein Verhältnis voll Spannungen, Nähe und Widersprüchen. Kunst in der Kirche hat einen Auftrag: Verkündigung. Zeitgenössische Kunst will oft "auftragslos" sein. Auftragslos bedeutet aber nicht ziellos. Dieses Spannungsverhältnis ist äußerst inspirierend.

5. Sichtbarkeit der Kirche
Alleine die 45.000 Kirchengebäude der evangelischen und der katholischen Kirche prägen für jeden sichtbar das Gesicht des Landes deutlich mit und ca. 100.000 Glocken rufen unüberhörbar, manchmal zum Ärger einiger Anwohner, besonders Sonntagmorgens zum Gottesdienst. Ein Dorf ohne Kirche ist kein richtiges Dorf. Selbst in der weitgehend atheistischen Uckermark kämpfen die Menschen um "ihre" Dorfkirchen. Kirchengebäude sind weit mehr als ein Vereinsheim für Kirchenmitglieder.

6. Persönliches
In meiner Kindheit gab es nur einen kulturellen Ort, die Kirche in der Nachbargemeinde. Diese Kirche, 1816-1819 erbaut, ist eine der wenigen Rundkirchen nördlich der Alpen und die Einzige, die ich kenne, bei der sich der Altar in der Mitte des Raumes befi ndet. Im Inneren der Kirche bestimmen zehn dicke, gekehlte Säulen das Bild, die in ihrer Einfachheit, ohne jede Verzierung für mich noch heute das Sinnbild für Protestantismus sind. Diese Kirche bestimmte das Leben von drei Gemeinden. Optisch, stolz sichtbar in die hügelige Landschaft des nördlichen Taunus gelegen, als Kristallisationspunkt in der sonst eher unübersichtlichen Gegend. Und inhaltlich als der Ort der Musik, der Orgel, des Gesanges und der Besinnlichkeit und des Denkens. Andere kulturelle Orte gab es nicht.

Die Resonanz auf den Schwerpunkt "Kultur und Kirche" in politik und kultur im Sommer 2006 war überraschend groß. Es entwickelte sich eine spannende Debatte über die Kirchen als unbekannter kulturpolitischer Macht, die bis heute in jeder Ausgabe von politik und kultur, jetzt in einer eigenen festen Rubrik, ihren Niederschlag findet. Mit der Vorlage der Zusammenstellung den in politik und kultur erschienen Texte zum Thema "Kultur und Kirche" in dem vorliegenden Buch kommen wir einer zahlreich geäußerten Bitte unserer Leser nach.

Die in diesem Buch veröffentlichen Texte beleuchten einen Ausschnitt der Kultur in Deutschland. Zur Bedeutung der nicht-christlichen Religionsgemeinschaften ist damit nichts gesagt. Besonders das Judentum hat weit reichende Wirkungen auf unsere Kultur und zunehmend erhalten die muslimischen Religionsgemeinschaften Bedeutung. Mit der Ausgabe September/Oktober von politik und kultur haben wir begonnen, das Verhältnis von Kultur und Judentum stärker in den Blick zu nehmen. Ohne die gute Zusammenarbeit mit der Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche Deutschlands Petra Bahr, Uta Losem vom Katholischen Büro in Berlin und Jakob Johannes Koch, Kulturreferent im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz wäre die Arbeit an dem Schwerpunkt "Kultur und Kirche" nicht zu leisten gewesen. Ihnen möchte ich für ihr Engagement herzlich danken. Danken möchte ich auch meinem Kollegen in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags "Kultur in Deutschland" Prof. Dr. Thomas Sternberg, MdL, der bei fast jedem diskutierten Thema die Mitglieder der Enquete-Kommission auffordert, die Kirchen nicht zu vergessen. Recht hat er.

Olaf Zimmermann
Herausgeber von politik und kultur
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates

Das vom Deutschen Kulturrat herausgegebene Buch «Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht» kann ab sofort kostenfrei im Internet heruntergeladen werden.