Am 7. Juni 1984 wurde erstmals ein SPD-Regierungschef mit Hilfe der Grünen gewählt

Das rot-grüne Projekt wird 25

Am 7. Juni 1984, vor 25 Jahren, ließ sich Holger Börner nach monatelangen Gesprächen von SPD und Grünen zum Ministerpräsident einer Minderheitsregierung wählen. Das rot-grüne Projekt war geboren.

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Staffen-Quandt
 (DR)

Holger Börner war zeitlebens ein Freund deutlicher Worte. Vor allem an den Grünen arbeitete sich der frühere hessische Ministerpräsident gerne verbal ab. Und dennoch war es Börner, der urtypische Sozialdemokrat, Betonfacharbeiter, Gewerkschafter, Betriebsrat, der in den 1980er Jahren die Weichen für ein Bündnis stellte, das er selbst geradezu verteufelt hatte. Hubert Kleinert erinnert sich noch gut an die wilden Anfangsjahre der Grünen. Kleinert, heute in Gießen Politikprofessor an der Verwaltungshochschule des Landes, gehörte damals zu den führenden Leuten im Realo-Flügel der hessischen Grünen. Zudem galt Kleinert vielen als enger Weggefährte des damaligen Ober-Grünen und späteren Bundesaußenministers Joschka Fischer. "Plötzlich, über Nacht, hatte sich die Frage nach Regierungsverantwortung gestellt", erinnert sich Kleinert an die vorgezogene Landtagswahl von 1983, bei der Sozialdemokraten und Grüne eine Mehrheit bekamen, jedoch nicht zueinander fanden - jedenfalls zunächst.

Der Vereidigung Fischers zum hessischen Umweltminister in Turnschuhen am 12. Dezember 1985 ging ein langer Annäherungsprozess voraus. Börner hatte eine Zusammenarbeit mit den Grünen noch im Wahlkampf 1983 ausgeschlossen, ganz egal in welcher Form. "Fotos mit mir und den Grünen an einem Verhandlungstisch werden noch nicht einmal als Montage zu sehen sein", soll er gesagt haben. Trotzdem, oder gerade deshalb, sei Börner der geeignete Mann für das rot-grüne Projekt gewesen, sagt Kleinert. "Nur er konnte die ganze SPD mitnehmen."

Schlüsselerlebnis Treffen mit Fischer
Ihm und Fischer, den beiden damals wichtigsten hessischen Grünen, die auch im Bundestag in Bonn saßen, sei schnell klar gewesen, "dass es nur mit Börner geht - und nicht ohne", erinnert sich Kleinert. Im Frühjahr 1984 habe er seine "erste intensive persönliche Begegnung" mit Börner gehabt, die für ihn eine Art "Schlüsselerlebnis" gewesen sei, betont Kleinert. Bevor der SPD-Politiker mit den Grünen zusammenarbeiten konnte, habe er die grünen Protagonisten kennenlernen wollen. "Ihm war dieses persönliche Gespräch wichtig", sagt Kleinert rückblickend, "und, dass man beim Biertrinken mithalten konnte".

Die Einschätzung, dass damals nur Börner die Annäherung an die Grünen wagen konnte, teilt auch der hessische SPD-Abgeordnete Reinhard Kahl. "Es brauchte jemanden mit einer großen politischen Reputation", erzählt Kahl, der 1983 erstmals in den Landtag gewählt wurde. Trotz der Verbalattacken gegen die Grünen habe Börner irgendwann erkannt, "dass es keine andere Möglichkeit" außer einer rot-grünen Zusammenarbeit gibt. Ihrem Ruf als "Chaostruppe" seien die Grünen gerecht geworden, sagt Kahl: "Die waren wenig verlässlich und sehr spontan."

Eben in der mangelnden Verlässlichkeit der neuen Partei sah auch der spätere hessische Ministerpräsident und Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) "das Grundproblem". Anfang der 1980er Jahre war Eichel Oberbürgermeister in Kassel und hatte ab 1981 als erstes Oberhaupt einer bundesrepublikanischen Großstadt Erfahrungen mit den Grünen gesammelt, zuerst mit "punktueller Zusammenarbeit". Aus Wiesbaden habe man 1981 nur ein Grummeln gehört, erinnert sich Eichel an die lokalen Anfänge von Rot-Grün. "1984 waren sie dann in Wiesbaden der Meinung, sie hätten Rot-Grün erfunden", sagt er: "Das fand' ich lustig."

"Auch bei den Grünen regiert inzwischen der Pragmatismus"
Trotz der vielen inhaltlichen Differenzen seien die Grünen damals "sehr vernünftig" gewesen und ihre Ideen "zukunftsweisend", sagt Eichel. Rot-Grün habe vieles verändert, Deutschland in vielen Bereichen zum umweltpolitischen Vorreiter gemacht. Die derzeitige Debatte um die Zukunft der Atomkraft zeige, dass das Ziel von rot-grünen Regierungsmehrheiten "nach wie vor berechtigt ist", findet Eichel. Dem stimmt selbstredend auch Kleinert zu. Allerdings drohe Rot-Grün "zur politischen Ausnahmekonstellation zu werden", sagt der Politologe.

Nach rot-grünen Landesregierungen auch in vielen großen Bundesländern regiert derzeit nur noch im kleinen Bremen eine Mehrheit aus SPD und Grünen. "Rot-Grün ist in einem immer komplizierteren und vielfältigeren Parteiensystem nur noch eine Variante unter vielen", sagt Kleinert. Das "Projekt Rot-Grün" im Sinne der 1980er Jahre, "das gibt es nicht mehr". Dazu habe sich in der deutschen Politik und Gesellschaft zu viel verändert. "Die SPD ist schwächer als in den 1980ern, den Grünen fehlen der Überschwang und die Leidenschaft von damals", urteilt Kleinert.

Auch Kahl sieht kein rot-grünes Projekt mehr. "Aus den Grünen ist inzwischen eine normale Partei geworden", sagt der SPD-Politiker. Das liegt wohl auch daran, dass sich SPD und Grüne angenähert haben. Inhaltliche Unterschiede gebe es natürlich "nach wie vor", erläutert Kleinert, doch die "kulturellen Unterschiede" seien überwunden. Öffentliche Verhandlungen über eine Zusammenarbeit etwa, wie sie die hessischen Grünen damals mit Börner forderten, sind heute undenkbar. "Auch bei den Grünen regiert inzwischen der Pragmatismus", sagt Kleinert.