Wie sich ein lettisches Altenheim gegen Armut und Elend stemmt

Letzte Zuflucht

In Deutschland würde das von Janina Baurovska geleitete Altenheim vermutlich als baufällig geschlossen. Blätternder Putz, windschiefe Türen, marode Elektroleitungen. Direkt hinter der Eingangstür sind zwei Toiletten ohne Wasserspülung. Trotz aller Mängel aber ist Baurovskas Lebenswerk für arme Alte im Süden Lettlands die einzige und letzte Zuflucht.

Autor/in:
Volker Hasenauer
 (DR)

Selbstlos ist sie und eine energische Frau mit nach hinten gestecktem grauen Haar. Janina Baurovska wirkt jünger als ihre 72 Jahre, wenn sie mit leichtem Schritt zu einem ihrer Patienten geht. 38 alte Menschen leben im von ihr geleiteten Altenheim von Subate, einer von der Welt vergessenen Ansammlung grauer Häuser im Süden Lettlands. "Bei uns wird jeder aufgenommen, wir sind Altenheim, Krankenhaus, Pflegestation und Hospiz in einem", sagt sie. Und dass sie nicht weiß, wie sie ihr "Haus des Friedens" weiterführen soll. An allen Ecken und Enden fehlt das Geld.

Leise erzählt Janina Baurovska ihre Geschichte. Als junges Mädchen kam sie in den 50er Jahren in das Haus, das zur Sowjetzeit ein Krankenhaus war. Hier lernte sie Krankenschwester, arbeitete jahrzehntelang als Pflegerin. 1994 wurde das Krankenhaus geschlossen, und die schmale Frau wollte nach einem harten Arbeitsleben in Rente gehen; endlich auch mal an sich denken. Das ist 15 Jahre her - und es kam anders.

Suche nach einem Nachfolger
"Unser Pfarrer fragte mich, ob ich beim Aufbau eines katholischen Altenheims in den alten Krankenhausräumen mitarbeiten würde. Ich wollte nicht nein sagen." Heute sagt sie, dass sie müde sei und die Sorgen und Mühen nicht mehr lange aushalte. Dieses Jahr noch, dann muss ein Nachfolger her. Wer aber will ihre an die Grenzen menschlicher Kräfte gehende Arbeit übernehmen? Die Verantwortung für ein Haus tragen, in dem Krankheit, Alter und Armut einen Bund eingegangen sind?

Baurovska weiß am Monatsende nicht, wie sie Medikamente kaufen soll.
Für Pflegeartikel und Windeln gibt es nie genug Geld. Als Pillendosen müssen alte Flaschendeckel reichen. Ihre elf Angestellten erhalten wie sie selbst nur den inoffiziell vorgeschriebenen Mindestlohn - der aber kaum zum Leben reicht. "Weil Fleisch und Milchprodukte im Supermarkt zu teuer sind, haben wir uns zwei Kühe und sechs Schweine angeschafft." Altenheim mit
Schweinestall: Für die 72-Jährige ist das nichts Besonderes mehr.
Milchsuppe steht jede Woche auf dem Speiseplan der 38 Bewohner, die fast alle Frauen sind. Sparen, wo es nur geht, ist zur notwendigen Bedingung ihrer Arbeit geworden. Jede Woche fährt Baurovska für Lebensmittel-Sonderangebote die Geschäfte der Umgebung ab. Unter dem weißen Kittel trägt sie selbst einfache Wollkleidung.

"Wir haben nichts, aber dennoch geht es uns gut, weil sich liebevolle Menschen um uns kümmern", sagt Antonija Veika. Sie ist 84 und lebt seit vier Jahren im Altenheim Subate. Sie kann nur schlecht laufen, hat Schmerzen. "Ich unterhalte mich mit den anderen, manchmal schreibe ich einen Brief", sagt sie und lädt die Besucher in ihr beengtes, muffig riechendes Zimmer. Andere Alte können gar nicht mehr aufstehen. Altenheim-Leiterin Baurovska weist niemanden ab, auch wenn die Betreuung und medizinische Versorgung von schwerstkranken Alten oft nur mit letzter Kraft der Mitarbeiter zu leisten ist.

Ihne Herd und Spülmaschine
Eigenes Vieh hat das Heim, nicht aber einen elektrischen Herd oder gar eine Spülmaschine. Gekocht wird auf dem Holzherd, angefeuert jeden Morgen um halb sechs. Mit deutschen Spenden des katholischen Hilfswerks Renovabis wurde eine holzbefeuerte Dampfsauna eingerichtet, wie es sie manchmal auf den Bauernhöfen der Region im lettisch-weißrussischen Grenzgebiet gibt. "Die alten Leute haben ihr Leben lang niemals fließendes Wasser gehabt, kennen keine Dusche, aber im Warmen sitzen sie gerne", erzählt die Altenheim-Leiterin.

Knapp 250 Euro monatlich kostet ein Platz in ihrem Haus. Damit ist es das billigste Altenheim in ganz Lettland. Das hat sich bei den Sozialbehörden schnell herumgesprochen, die deshalb aus dem ganzen Land Alte nach Subate schicken. Die staatlichen Zuschüsse erhöhen sie freilich nicht. "Ich kann meinen Mitarbeitern nur Hungerlöhne zahlen. Wenn es hier in der Gegend andere Jobs gäbe, wären sie längst weg", sagt Baurovska.

Nachtbetreuerin Mirdza Trupane arbeitet hier seit der Gründung des Hauses. Eine 24-Stunden-Nachtschicht, dann zwei Tage frei, das ist ihr Arbeitsrhythmus. "Im Dienst schlafe ich keine Nacht durch - aber vielleicht wird es im Himmel leichter sein", sagt sie mit bitterem Lachen. Zugleich würde es ihr wohl schwerfallen, die Arbeit zu verlassen. "Die Alten brauchen mich, und ich habe mich an sie gewöhnt." Janina Baurovska nickt kaum merklich mit dem Kopf. Um 21.00 Uhr geht sie heute nach Hause. Morgen um neun wird sie wieder da sein.