Der Deutsche Evangelische Kirchentag besteht seit 60 Jahren

Glaubensfest und protestantische "Bürgerrechtsbewegung"

Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist eine Institution. Im selben Jahr gegründet wie die Bundesrepublik, in der Trümmerlandschaft von 1949, begleitet das Protestantentreffen nunmehr über 60 Jahre hinweg die deutsche Geschichte wie auch globale Entwicklungen. Als evangelische "Zeitansage" ist der Kirchentag aus dem politischen und sozialen Leben des Landes nicht wegzudenken.

Autor/in:
Renate Kortheuer-Schüring
 (DR)

Ins Leben gerufen wurde der Kirchentag am 31. Juli 1949 in Hannover. Ein aus Pommern stammender Landwirt und Jurist, Reinold von Thadden-Trieglaff (1891-1976), war die treibende Kraft: Der pietistisch geprägte Gutsbesitzer, der in der NS-Zeit der Bekennenden Kirche angehörte, wollte die evangelischen Laien stärken. Auf seine Unabhängigkeit von der verfassten Kirche legt der Kirchentag bis heute großen Wert.

Der hannoversche Landesbischof Hanns Lilje (1899-1977) griff damals die Idee auf. Auf seine Einladung trafen sich vom 28. Juli bis zum 1. August 1949 in Hannover rund 6.000 evangelische Christen, um nach den Zerstörungen durch Nationalsozialismus und Krieg einen kirchlich-spirituellen Neuanfang zu wagen.

Seit 1954 alle zwei Jahre zog das Laientreffen seither Tausende, Zehntausende, später auch bis zu 200.000 Menschen an - mit Gottesdiensten, Vorträgen, Diskussionen, Bibelarbeiten und buntem Programm. Leidenschaftlich debattiert wurden Themen, die Kirche und Gesellschaft bewegten: vom Rüstungswettlauf bis zur Sterbehilfe, vom christlich-jüdischen Dialog bis zum gemeinsamen Abendmahl mit den Katholiken. Als «Fest des Glaubens» und ein «Forum der Welt» beschreibt Präsidentin Karin von Welck den Kirchentag, «gemeinschaftsstiftend und diskussionsfreudig» zugleich.

Der Bau der Mauer 1961 und ihr Fall 1989 markierten - neben der Studentenrevolte in den späten 60er Jahren - wohl die stärksten Einschnitte in der Geschichte des Protestantentreffens: In den Jahren dazwischen fanden getrennte Kirchentage in Ost- und Westdeutschland statt. Schon 1952 hatten statt der versprochenen 20.000 Teilnehmer aus der DDR nur mehrere Dutzend nach Stuttgart fahren dürfen. Der Leipziger Kirchentag 1954 wurde dagegen zum Fanal für die Wiedervereinigung - es war der vorläufig letzte gesamtdeutsche Kirchentag.

In der DDR fanden danach mehrere regionale Kirchentage statt.
Berühmt für seine symbolträchtige Friedensaktion wurde der Wittenberger von 1983, als Pfarrer Friedrich Schorlemmer ein Schwert zur Pflugschar umschmieden ließ. «Schwerter zu Pflugscharen» war das Motto der kirchlichen Friedensbewegung.

In der Bundesrepublik erhielt der Kirchentag im Zuge der Friedens- und Umweltbewegung in den 70er und 80er Jahren immer mehr Zulauf. Zuvor war es mit den Besucherzahlen allerdings rapide bergab gegangen, der Kirchentag galt vielen als frömmelnd und altmodisch, im Zuge der 68er-Bewegung wurden Rufe nach mehr Mitbestimmung laut. Tiefpunkt war 1973, als sich 7.000 Gäste in den Düsseldorfer Messehallen verloren. Zwei Jahre später gab es erstmals den «Markt der Möglichkeiten», auf dem sich bis heute vielfältige Initiativen präsentieren können - und es begann eine Erfolgsgeschichte.

Das Treffen in Hamburg 1981, wie auch Hannover 1983 geprägt von der Zuspitzung im Ost-West-Verhältnis, wurde zur ersten großen Friedensdemonstration, Markenzeichen: lila Halstücher. 1985 in Düsseldorf rief Carl Friedrich von Weizsäcker zum «Konzil des Friedens» auf. Immer mehr Jugendliche zog es zum Kirchentag, der aufgewühlte politische Debatten erlebte.

Nach der Wende 1989 wurde auch der Kirchentag wieder
gesamtdeutsch: Im Jahr des Mauerfalls fand er im noch getrennten Berlin statt; «Unsere Zeit in Gottes Händen» hieß damals die Losung. Den ersten großen Kirchentag in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung gab es schließlich 1997 in Leipzig.

Ein beispielloser kirchlicher Höhepunkt ereignete sich schließlich 2003: Protestanten und Katholiken luden zum ersten Ökumenischen Kirchentag nach Berlin ein. Zwar erfüllte sich nicht die Hoffnung vieler auf ein gemeinsames Abendmahl, lediglich am Rande wurde - ohne offiziellen kirchlichen Segen - konfessionsübergreifend die Eucharistie gefeiert. Doch das Projekt gemeinsamer Kirchentage soll fortgesetzt werden. Die nächste ökumenische Großveranstaltung ist für 2010 in München geplant.

Zunächst steht aber in Bremen der 32. Deutsche Evangelische Kirchentag bevor. Dort soll auch an die 60-jährige Geschichte der «protestantischen Bürgerrechtsbewegung» (Helmut Simon) erinnert werden, unter anderem mit einem Podium, an dem auch der frühere Bundespräsident und Kirchentagspräsident Richard von Weizsäcker teilnimmt.

In der Jubiläumsschrift «Fest des Glaubens. Forum der Welt» blickt Generalsekretärin Ellen Ueberschär aber auch nach vorn: Künftig müsse der Kirchentag seine Tradition in eine multireligiöse und säkulare Welt «übersetzen», müsse Positionen im interreligiösen Dialog und bei der Gestaltung einer gerechten Welt finden, sagt Ueberschär: Mutig Neues zu erproben, bleibe ein Markenzeichen des Kirchentags.