Politiker werfen DGB-Chef Verantwortungslosigkeit vor - Erzbischof Becker: Bedürftige nicht vergessen

Kritik an Warnung vor sozialen Unruhen

Die Warnungen von DGB-Chef Michael Sommer und SPD-Bundespräsidentenkandidatin Gesine Schwan vor sozialen Unruhen wegen der Krise in Deutschland stoßen größtenteils aus Ablehnung der Politik. Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker warnt dagegen davor, die durch die Wirtschaftskrise getroffenen Sparmaßnahmen auf Kosten der Schwächsten und Bedürftigen auszutragen.

 (DR)

I
n einer Gesellschaft, die «den Wert des Menschen vor allem nach Leistung und wirtschaftlichen Möglichkeiten» beurteile, sei das Thema soziale Gerechtigkeit von höchster Aktualität und Brisanz, so Becker. Denn es werfe die eindringliche Frage nach den Gestaltungskriterien einer humanen Gesellschaft auf.

Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, sagte: «Unruhen an sich sehe ich nicht.» Wenn es der Bundesregierung aber nicht gelinge, mit ihren Konjunkturprogrammen zugleich ein deutliches Zeichen für soziale Gerechtigkeit zu setzen, werde Politikverdrossenheit einsetzen. In diesem Fall würden sich Menschen vom demokratischen System abwenden und sich von radikalen Kräften einfangen lassen. Dann könne es zu einer politischen Krise kommen. «Diese Gefahr ist weitaus größer und gefährlicher, als Unruhen auf den Straßen», sagte Schneider.

Katholikenkomitee-Präsident beklagt wachsende Armut
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Hans Joachim Meyer, beklagt wachsende Armut in Deutschland in Folge der Wirtschaftskrise. In Kirchengemeinden in sozialen Brennpunkten und Großstädten gebe es eine zunehmende Zahl von Menschen, die sich nicht mehr selbst zu helfen wüssten, sagte er am Freitag im Südwestrundfunk. Zugleich hätten auch viele Bürger, die noch nicht unmittelbar betroffen seien, große Zukunftsängste.

Der ZdK-Präsident verwies darauf, dass die Kirchen schon vor Jahren davor gewarnt hätten, dass eine allein auf unbegrenzten Wettbewerb setzende Wirtschaft und Gesellschaft zu «katastrophalen Folgen» führe. Nun gehe es darum, Gerechtigkeit auf den internationalen Finanzmärkten zu erreichen und zugleich eine Erneuerung und Bewahrung des Sozialstaates zu garantieren. Um Auswege aus der Krise zu finden, sei eine genaue Ursachenforschung nötig.

Brüderle: Äußerungen verantwortungslos
FDP-Vize Rainer Brüderle nannte die Äußerungen Schavans und Sommers am Freitag verantwortungslos. Brüderle sagte: «Stimmungsmache und Drohrufe sind jetzt völlig verantwortungslos.« Das Beschwören von Unruhen und schiefe historische Vergleiche könnten die Menschen verängstigen. Jetzt komme es darauf an, ihnen durch eine vertrauenstiftende Politik Mut zu machen.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, mahnt dringend zur Zurückhaltung. Schon jetzt griffen gewaltbereite Gruppen die Sorgen der Menschen auf, um ihre Zerstörungswut und ihre Angriffe auf Polizisten zu rechtfertigen. Dies werde man auch um den 1. Mai herum erleben. Dabei stünden nicht ernsthafte politische Zielsetzungen im Vordergrund, sondern Krawall. In vielen Städten, vor allem in Berlin, sei seit Monaten eine Zunahme von Gewalt und Zerstörungswut zu beobachten. «In Berlin brannten bisher 90 Fahrzeuge, es gab Angriffe auf Polizei- und Amtsgebäude und Übergriffe auf einzelne Beamte», sagte er.

SPD-Bundestagsfraktionschef Peter Struck kritisierte: »Es ist nicht gut, wenn wir davon reden, dass hier Unruhen ausbrechen könnten wie in Frankreich oder anderswo.» Das untergrabe die Bemühungen der Bundesregierung, die gerade alles unternehme, um die Krise für die Menschen zu mildern.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt mahnte, wer in der Gesellschaft Verantwortung trage, solle sich nicht an wilden Spekulationen und wahltaktischen Manövern beteiligen. In der Wirtschaftskrise sei eine negative Stimmungsmache äußerst schädlich. Die Unternehmen täten derzeit alles dafür, Beschäftigung in ihren Betrieben zu halten. Manche öffentliche Rhetorik stehe in absolutem Gegensatz zu dem, was die Tarif- und Betriebspartner angesichts der Krise gemeinsam leisteten.

Grüne und Linke verteidigen Warnung vor sozialen Unruhen
Grünen-Bundestagsfraktionschef Fritz Kuhn sagte dagegen: «Es gibt ein tiefes Gefühl großer Ungerechtigkeit im Land. Daran ist die Regierung nicht unschuldig.» Es sei für die breite Bevölkerung nicht einzusehen, dass der Staat Hunderte Milliarden Euro für die Banken bereitstelle, aber Mindestlöhne und höhere »Hartz IV«-Sätze verweigere. «Die große Koalition muss sich stärker um Arbeitslose und Geringverdiener kümmern, damit soziale Verwerfungen nicht verschärft werden», mahnte Kuhn.

Linksparteivorsitzende Oskar Lafontaine sagte, DGB-Chef Sommer wolle, dass die Regierung etwas gegen die Arbeitslosigkeit unternehme. Diese Forderung unterstütze er. «Wenn die Regierung weiterhin so untätig bleibt, dann wächst dadurch die Gefahr, dass die Rechte in Deutschland wieder stark wird. Und wir stehen alle in der Verantwortung, ein Aufkommen neuer Nazis in Deutschland zu verhindern», sagte Lafontaine.