Debatte um Rolle der Kirchen in der Endphase der DDR

"Kirchen waren Übungsraum für die Demokratie"

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hat die Rolle der Kirchen in der DDR gewürdigt. Sie seien ein großer Übungsraum für Demokratie und politische Verantwortungsbereitschaft gewesen, erklärte er am Dienstag in Berlin bei einer Veranstaltung über den Beitrag der Kirchen zur Wende von 1989. Der Erfurter Bischof Joachim Wanke verteidigte die politische Zurückhaltung der katholischen Kirche in der DDR.

 (DR)

Viele Bürgerrechtler hätten sich nach der Wende in allen Parteien engagiert, «als hätten sie nur darauf gewartet», sagte Thierse. Der Beitrag der Kirchen zur Wende habe aber nicht auf Dauer den «radikalen Kulturabbruch» rückgängig gemacht, zu dem die kirchenfeindliche Politik des SED-Regimes geführt habe, bedauerte Thierse. Die Vorurteile gegenüber den Kirchen im Osten Deutschlands bestünden «wie eh und je».

Die «kühle Distanz» zum SED-Regime habe dazu beigetragen, dass dieses die katholische Kirche nicht habe vereinnahmen können, sagte Bischof Wanke. Der Bischof räumte ein, dass die politische Abstinenz gegen Ende der DDR immer problematischer geworden sei. Eine neue Generation katholischer Bischöfe habe diesen Kurs in den 80er Jahren deshalb weithin aufgegeben.

Wanke betonte, über den Beitrag der Katholiken zur Wende gebe es bislang noch keine zusammenfassende Darstellung. Erforderlich sei zudem eine Untersuchung über die Rolle der Kirchengemeinden außerhalb der Großstädte wie Berlin, Dresden und Leipzig. Auch in den kleineren Städten seien die Gemeinderäume aller christlichen Konfessionen oft zum Ausgangspunkt der Demonstrationen geworden.
Deren Gewaltlosigkeit sei wesentlich das Verdienst der vorausgegangenen Friedensgebete, betonte der Bischof. Zudem sei das politische Engagement vieler Katholiken nach 1989 in demokratischen Institutionen eine Folge ihrer Erfahrungen in kirchlichen Gremien.

Auch der frühere Berliner Generalsuperintendent Martin-Michael Passauer hob den Einfluss der synodalen Entscheidungsstrukturen in den Kirchen auf die Bürgerrechtsbewegung hervor. Dies habe dazu beigetragen, dass sich die Bürgerrechtsbewegung dezentral entwickelt habe. Dadurch habe sie sich weithin den Kontrollen des SED-Regimes entzogen. Die Staatsorgane hätten den folgenschweren Irrtum begangen, stets vergeblich nach Rädelsführern und Meinungsmachern zu suchen. Thierse, Wanke und Passauer sprachen bei einer Veranstaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des Versicherungsunternehmens Bruderhilfe Pax Familienfürsorge.