Als der Bundestag in den Reichstag zog

Mit Gottes Segen nach Berlin

Vor genau zehn Jahren, am 19. April 1999, erlebte der umgebaute Reichstag in Berlin seine "Bundestags-Premiere". An jenem Montagvormittag konnte der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse aus den Händen von Star-Architekt Sir Norman Foster symbolisch den Schlüssel für den neuen Parlamentssitz entgegennehmen.

Autor/in:
André Spangenberg
 (DR)

Rührung war ihm anzumerken, als er sagte, 40 Jahre sei der Reichstag Symbol der Teilung Deutschlands gewesen; auf seinen Stufen sei aber auch die Wiedervereinigung gefeiert worden. Dann wünschte Thierse dem Gebäude "Gottes Segen", den Abgeordneten Weisheit und Vernunft sowie Fairness und Glaubwürdigkeit.

Jahre zuvor hatten die Abgeordneten in Bonn erbittert um die Bonn/Berlin-Entscheidung gerungen. In Hinterzimmern wurden stille Allianzen geschmiedet, öffentlich kamen Montags-Demonstrationen auf. Nach monatelangen quälenden Debatten votierte der Bundestag im Bonner Wasserwerk am 20. Juni 1991 ziemlich knapp dafür, seinen Sitz nach Berlin zu verlegen. Gut eineinhalb Jahre nach dem Mauerfall stimmten 338 Abgeordnete für den Berlin-Antrag, der Gegenantrag "Bundesstaatslösung Bonn-Antrag" erhielt 320 Stimmen. Viele Parlamentarier wollten in der vertrauten Stadt am Rhein bleiben.

1999 wurden dann in der parlamentarischen Sommerpause "die Koffer gepackt", insgesamt 46 000 Umzugskisten. 90 Speditionen schlossen sich zusammen, um die nach Bundestagsangaben "größte logistische Herausforderung in der Geschichte der Bundesrepublik" zu meistern und die Unterlagen von Abgeordneten und Bundestagsmitarbeitern an die Spree zu bringen. Seinen regelmäßigen Berliner Betrieb nahm der Bundestag am 6. September 1999 auf.

30 000 Reden, 1441 Gesetzentwürfe
523 Mal hat seitdem der Bundestag in seinem "neuen" Domizil getagt - die "Berliner Republik" hat sich eingelebt. Das ist auch an anderen Zahlen abzulesen: Bis zum 31. März wurden insgesamt 1441 Gesetzentwürfe verabschiedet, mehr als 30 000 Reden hat das Gebäude in diesen Jahren erlebt. Und selbst in Zeiten des "papierlosen Büros" greifen die Abgeordneten gern auf Drucksachen zurück. Allein im vergangenen Jahr wurden 84 Millionen Blatt A 4-Papier verbraucht, weitere 1,18 Millionen Blatt A 3 und größer kamen hinzu. Das entspricht rund 432 Tonnen Papier.

Angemerkt sei noch, dass seit der Eröffnung mehr als 15 Millionen Menschen den Bundestag in Berlin besichtigt haben. Das klingt wie eine späte Rechtfertigung für den damaligen Vorsitzenden der Baukommission des Bundestages, Dietmar Kansy (CDU), der immer wieder die hohen Kosten des Reichstagsumbaus verteidigen musste. Vor zehn Jahren wurde er noch für seine Worte belächelt: "Wenn unsere Demokratie dauerhaft angelegt sein will, muss sie auch baulich etwas darstellen."