Das Oldenburger Münsterland trotzt dem demografischen Wandel

Vom Mauerblümchen zum Musterbeispiel

Ob in Ostthüringen, an der Müritz oder in Nordhessen: Viele ländliche Regionen leiden unter den Folgen des demografischen Wandels. Junge Menschen wandern ab, die Bevölkerung vor Ort ist überaltert und allerorts fehlt es an neuen Ideen und Investitionen. Steigende Arbeitslosenzahlen sind nur eine Folge. Allerdings gibt es auch Regionen, die sich diesem Trend widersetzen - wie das Oldenburger Münsterland. Eine Studie untersuchte nun die Hintergründe des wirtschaftlichen und demografischen Erfolgs in dem stark katholisch geprägten Landstrich.

Autor/in:
Julia Grimminger
 (DR)

Die Region habe sich "nahezu unbemerkt vom Rest der Republik zu einer regelrechten Boomregion entwickelt", erklärt Reiner Klingholz. Der Geschäftsführer des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung kann dies nun auch mit Zahlen belegen: Der Landkreis Cloppenburg erreiche mit 1,74 Kindern je Frau eine einmalig hohe Nachwuchszahl. Das Bundesmittel liege bei 1,37 Kindern. Zudem wachse die Bevölkerung seit 1995 kontinuierlich. Im Vergleich: Bundesweit nimmt die Bevölkerung seit 2003 ab.

Die wirtschaftlichen Daten lösen sich ebenso vom Rest der Republik: Das Wirtschaftswachstum war laut Erhebung dreimal so hoch wie im gesamten Land. Zudem habe sich die Zahl der Erwerbstätigen seit 1995 um 26 Prozent erhöht. Besonders ungewöhnlich für ländliche Räume sei, dass die Frauenerwerbsquote deutlich über dem landesweiten Durchschnitt liege, ergänzt Klingholz.

Woher kommt dieser Erfolg?
Die Experten haben Daten ausgewertet, Interviews geführt und die Bevölkerung gefragt. Ihre Antwort: Der Kern der Entwicklung sei die Landwirtschaft. In der Region gebe es Hunderte von Betrieben der Agrar- und Lebensmitteltechnologie. Rund ein Drittel aller Beschäftigten vor Ort arbeite in diesem Sektor. Klingholz: "Die Region wird mittlerweile als Silicon Valley der Agrartechnologie bezeichnet."

Die Studie beschäftigt sich allerdings auch mit den gesellschaftlichen Hintergründen. Laut Experten spielen im Oldenburger Münsterland Familie, Fleiß, Solidarität und Religion eine große Rolle. Aus den Befragungen geht hervor, dass die einst armen Moorbauern, eine isolierte katholische Minderheit, im protestantischen Umfeld versuchte, aus der Not eine Tugend zu machen. Damals seien die heute so intakten sozialen und wirtschaftlichen Netzwerke entstanden. Denn wer sich nicht solidarisch zeigte, hatte keine Chance oder musste abwandern.

Werte wie Familie, Heimat, Ehrenamt und Religion
Der erfolgreiche Mittelstand ist den Experten zufolge aus dieser dörflichen Zusammenarbeit entstanden. Die späte Entwicklung von einer Agrar- zu einer modernen Gesellschaft habe sich dabei als Vorteil entpuppt. So hätten Werte wie Familie, Heimat, Ehrenamt und Religion in dieser Region länger überlebt. In Cloppenburg engagieren sich nach den Angaben 80 Prozent der Menschen gemeinnützig. Ein Kreis, der sich schließt: Der soziale Zusammenhalt hat laut Studie wiederum Einfluss auf die Geburtenrate. Die Generationen wohnten vergleichsweise nahe zusammen und erleichterten so die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

"Ländliche Regionen werden auch weiterhin an Bevölkerung verlieren", prophezeit Klingholz. Chancen auf eine positive Entwicklung hätten dagegen nur Gebiete, die über besondere Potenziale verfügten: Etwa für Touristen attraktive Naturräume, eine wertschöpfende Landwirtschaft oder neue Wirtschaftszweige. "Vor allem aber brauchen diese Regionen aktive, kreative und selbstbewusste Bürger mit neuen Ideen."