KNA: Herr Professor Münch, nach der Schelte der Kanzlerin am Papst scheint für manche Katholiken in der Union das Fass übergelaufen zu sein. Nicht wenige drohen mit der Abwendung. Was sind die inhaltlichen Gründe für diese wachsende Entfremdung?
Münch: Ich beklage eine Politik der CDU, die sich von den christlichen Werten wegbewegt. Stattdessen dominiert eine Politik der Beliebigkeit, die sich vorrangig nach dem Zeitgeist richtet - nach der Frage, was kommt in der Öffentlichkeit gut an, ohne darüber nachzudenken, dass ein Zeitgeist sehr kurzatmig ist. Ich sehe einen Relativismus, wie ihn auch Papst Benedikt XVI. mehrfach beschrieben
hat: Entscheidungen werden gefällt, ohne dass sie bewusst auf der Basis von Werten stehen.
KNA: An welche Politikfelder denken Sie?
Münch: Zum Beispiel die Haltung in Sachen Abtreibung: Ich bin in eine Partei eingetreten, die für den Schutz des Lebens stand, das ist sie heute nicht mehr. Oder die forschungsfreundliche Haltung in bioethischen Fragen. Wenn man einmal den Stichtag für die Erzeugung von embryonalen Stammzellen auf Druck der Forschungslobby verschiebt, dann kann mir keiner beibringen, dass dies künftig nicht noch einmal geschieht, und der Stichtag zur «Wanderdüne» wird.
KNA: Warum sind Sie aus der CDU ausgetreten?
Münch: Ich habe mir meine Entscheidung des Parteiaustritts nach 37 Jahren nicht leicht gemacht, sie ist keineswegs aus dem Affekt heraus gefallen. Vielmehr treibt mich seit langem die Frage um, ob die CDU noch meine Partei ist. Das berührt mehrere Ebenen: In Sachfragen beobachte ich eine Konzeptionslosigkeit, der Staatshaushalt wurde in guten Zeiten nicht saniert, in der Steuerpolitik ist keine Linie erkennbar. Hinzu kommt der Umgang Angela Merkels mit Parteifreunden in herausragenden Positionen, den ich nicht billigen kann. Ich nenne Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz oder zuletzt Michael Glos. So kann man mit Leuten nicht umgehen.
KNA: Sie erwähnten als Auslöser des Austritts auch die Kritik Merkels an Papst Benedikt XVI. in Sachen Traditionalisten?
Münch: Ja, das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Es war eine völlig unmögliche öffentliche Schelte gegenüber dem Papst, der es nicht nötig hat, sich von einer deutschen Bundeskanzlerin in dieser Weise maßregeln zu lassen. Man kann die Kurie im Umgang mit Bischof Williamson kritisieren, das tue ich auch, aber man kann nicht so zu tun, als ob der Papst jemand wäre, der den Holocaust nicht anerkennt. Den Papst, der Auschwitz besucht hat, öffentlich vorzuführen, nur weil Papstkritik gerade 'in' zu sein scheint, das kann ich nicht billigen.
KNA: Aber was können Sie mit dem Austritt bewegen?
Münch: Ich hoffe, dass ich ein Zeichen gesetzt habe - als erster ehemaliger Ministerpräsident, der aus der CDU austritt. Ich wage fast nicht daran zu glauben, aber vielleicht dient mein Austritt als Anlass, um in der Parteiführung über bestimmte Fragen nachzudenken.
Pflegen wir noch genügend unser christliches Gedankengut? Wo setzen wir es in unsere praktische Politik um? Nehmen wir genügend Rücksichten auf die Kirchentreuen beider Konfessionen? Es gibt über diese Fragen eine große Verunsicherung an der Parteibasis. Mir haben viele gesagt: Die CDU ist für mich wegen ihrer Abkehr von den christlichen Werten nicht mehr wählbar. Die christlich-konservative Klientel wird nicht mehr berücksichtigt.
KNA: Personell war die CDU-Führung noch nie so weit weg vom Katholizismus wie jetzt: die Kanzlerin ist Protestantin, der Generalsekretär ist Protestant, der Fraktionsvorsitzende ebenso. Sind die Katholiken in der CDU inzwischen eine Minderheit, die sich organisieren müsste?
Münch: Ein eigener Arbeitskreis wäre eine gute Idee, aber nur, wenn das nicht nur innerhalb der Fraktion geschieht, sondern kritische Geister von außen dazukommen und den Abgeordneten deutlich machen, wie weit sie von der wertkonservativen Basis weg sind. Es ist richtig, dass die Katholiken in den Führungspositionen des Staates und der Partei unterrepräsentiert sind. Allerdings würde ein rein quantitativer Ausgleich das Problem nicht lösen. Die Frage ist vielmehr, wie mutig sind heute noch katholische - und evangelische - Politiker, sich gegen politische Entwicklungen zu stellen, die keine Wertebasis haben. Oder sind alle aktiven Politiker vielleicht schon so angepasst, dass ihnen Amt und Position wichtiger als ihre Überzeugungen sind?
KNA: Welche Folgen hat diese Entwicklung für das Wahlverhalten?
Münch: Die traditionelle Wählerklientel geht uns verloren, die Leute resignieren und ziehen sich zurück ins Private, weil sie glauben, ohnehin immer in der Minderheit zu sein. Viele haben den Eindruck, als reaktionär oder traditionalistisch belächelt zu werden. Ich habe mich selbst gefragt, was mache ich: Weiter zu den Fehlentwicklungen schweigen? Nein! Stattdessen bin ich mit meinem Austritt an die Öffentlichkeit gegangen, als letzter Versuch, noch einmal das Führungspersonal der Union wachzurütteln.
KNA: Welchen Anteil hat die Bundeskanzlerin an dieser Entwicklung?
Münch: Die Kanzlerin macht aus Gründen des Machterhalts eine schlingernde Politik und geht zu stark auf den Koalitionspartner zu. Sie begründet und erklärt nicht mehr, was Ziel und Leitlinien der Partei sind. Stattdessen bestimmt der Zeitgeist ihre Politik. Zum Beispiel Familienpolitik: Dort wird unreflektiert nur auf den Ausbau von Krippenplätzen gesetzt, ohne wenigstens auszusprechen, dass und wie sich damit das traditionelle Familienbild der Union verändert.
Viele in der Union denken, dass sie sich nicht mehr um die traditionellen Wählerschichten kümmern müssten, weil diese ohnehin sicher CDU wählen. Aber dies ist eine grundfalsche Annahme, das wird sich bei den kommenden Wahlen zeigen.
Ex-Ministerpräsident: CDU wendet sich von christlichen Werten ab
"Die Leute resignieren und ziehen sich zurück"
Sachsen-Anhalts früherer Ministerpräsident Werner Münch wirft der CDU eine Abkehr von christlichen Werten vor. In der Partei dominiere ein Politik der Beliebigkeit, die sich nur nach dem kurzatmigen Zeitgeist richte, sagte der in dieser Woche aus der CDU ausgetretene Politiker am Freitag in Freiburg. Der 68-Jährige machte dafür die Parteivorsitzende Angela Merkel verantwortlich. "Sie begründet und erklärt nicht mehr, was Ziel und Leitlinien der Partei sind."
Share on