Zwei Franziskanerinnen bieten in Stuttgarts Innenstadt ein offenes Ohr und Zuwendung

Seelsorge für Passanten

Es ist nur ein kleines Schild mitten in der Stuttgarter Innenstadt, das auf ein besonderes Angebot aufmerksam macht. "Passantenseelsorge" steht dort geschrieben. Hinter diesem Angebot verbergen sich Schwester Marietta Jenicek und Schwester Nicola Kress. Seit einigen Jahren betreiben die beiden Franziskanerinnen aus dem Kloster Sießen die Seelsorge-Anlaufstelle im Stuttgarter Zentrum. Dabei haben sie vor allem eine Aufgabe: zuhören.

Autor/in:
Julia Spurzem
 (DR)

In anderen Städten gibt es ähnliche Seelsorge-Einrichtungen, meist sind diese aber mit einem Gesprächsladen oder Kaffee verbunden. In Stuttgart ist die Passantenseelsorge rein auf das Gespräch ausgerichtet. Seit 1994 gibt es diese Einrichtung: «Der Bischof wollte damals, dass die Kirche ein freundliches Gesicht bekommt», sagt Schwester Marietta. So seien ihre Vorgängerinnen oft in der Fußgängerzone unterwegs gewesen, um vor allem Ansprechpartner zu sein. Vor einigen Jahren erhielt die Passantenseelsorge weitere Räume in der Kirche St. Eberhard.

Rund 2000 Gespräche führen die beiden Schwestern jedes Jahr. Viele davon, rund 700, seien sogenannte Erstkontakte. «Das besondere ist hier ja, dass sich die Leute spontan entscheiden, zu reden und zu erzählen, um ihre Sorgen loszuwerden», sagt Schwester Nicola. Bei anderen Seelsorge-Angeboten müssten die Leute erst anrufen und einen Termin ausmachen. «Hier kommen die Menschen einfach rein.» Der Ort biete ein Stück weit «Barrierefreiheit».

So wie der betrübt wirkende Mann, der an einem Donnerstagnachmittag plötzlich vor den beiden Schwestern steht. Er sucht ein Gespräch, braucht jemanden zum Zuhören. Eine der Schwestern führt ihn schließlich in das kleine, aber liebevoll eingerichtete Zimmer und zündet eine Kerze an. «Die Sorgen der Menschen, die hierher kommen, sind ganz unterschiedlich», sagt Schwester Marietta.

Manchmal hören die beiden Schwestern bis zu 14 Menschen am Tag zu. Dabei geht es unter anderem um Beziehungsprobleme, Zukunftssorgen oder aber auch Existenzängste. Schwester Nicola weiß, dass vor allem letzteres seit der Einführung von «Hartz IV» stark zugenommen hat. «Seitdem kommt hier sehr viel mehr finanzielle Not zur Sprache», sagt sie.

Besonders viel los ist in den Räumen der Passantenseelsorge auch immer vor Weihnachten. «Das ist eine sehr sensible Zeit», sagt Schwester Nicola. Dann sei «vieles in Bewegung», da die Menschen oft ihre Vorstellungen mit der Realität ihres Alltags abgleichen würden und dann zu dem Schluss kämen, dass beides nicht übereinstimme. Trennungen seien deswegen sehr häufig zu dieser Zeit.

Die beiden Schwestern versuchen bei all den Sorgen vor allem in erster Linie zuzuhören. «Ratschläge sind Schläge. Ein Rezept gibt es nicht», sagt Schwester Marietta. Den Rat würden die Menschen meist nach dem Gespräch in sich selber finden. Letztlich biete man nur einen Ort an. Schließlich kämen auch viele, um aus der Hektik der Einkaufsstraße heraus einen Ort der Ruhe zu finden.

Besondere Schicksale bleiben den beiden Schwestern meist lange im Gedächtnis. Letztlich sei aber jedes Gespräch besonders. «Schön ist es, wenn dann jemand, der in Not war, ein halbes Jahr später wieder hier herkommt und uns erzählt, wie er die Situation bewältigen konnte», sagt Schwester Nicola.

Die Konfession der Besucher ist den Katholikinnen egal. «Darum geht es hier nicht», sagt Schwester Marietta. Und auch spielt es keine Rolle, ob die Menschen, die zu ihnen kommen, gläubig sind oder nicht. Letztlich gehe es auch nicht darum, dass jemand wieder zum Glauben zurückfinde. «Es geht darum, dass der Mensch wieder auf die Füße kommt», erklärt Schwester Nicola. Alles andere sei ein netter, aber nicht notwendiger Nebeneffekt.

Im Sommer gehen die beiden Schwestern auch schon mal wie ihre Vorgängerinnen vor die Tür und bieten ein direktes Gesprächsangebot auf der Straße an. Doch die Räume in St. Eberhard bieten eher den gewünschten Rückzugsort. Unterstützt werden die Schwestern von Ehrenamtlichen, die ebenfalls für Gespräche zur Verfügung stehen. Schließlich hat die Passantenseelsorge fünf Tage die Woche auf.

Und so sind die beiden Schwestern auch manchmal einfach nur Ratgeber und Wegweiser. «Aber auch das machen wir gerne», sagt Schwester Marietta. Manchmal kämen etwa auch Leute in das Gebäude und fragten nach dem Geldautomaten, der eigentlich in der Bank nebenan steht. Die resolute Schwester ist auch dann nicht um eine Antwort verlegen: «Ich sag dann immer: Einzahlen können sie hier. Wenn sie was abholen wollen, müssen sie aber eine Tür weiter gehen.»