Geheimdienste befürchten für Afghanistan "pakistanische Verhältnisse"

"Kapitulationserklärung" vor den Taliban

Nachdem die pakistanische Regierung den radikal-islamischen Taliban nach monatelangen Auseinandersetzungen offiziell die Macht über das von ihnen besetzte weiträumige Swat-Tal in der Nordwestregion Pakistans überlassen hat wurde in dem Gebiet mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern das weltliche Recht durch die Scharia-Gerichtsbarkeit ersetzt. Vertreter westlicher Geheimdienste befürchten nun auch für Afghanistan "pakistanische Verhältnisse".

Autor/in:
Friedrich Kuhn
 (DR)

Von Geheimdienstlern in der afghanischen Hauptstadt Kabul wurde die Vereinbarung des pakistanischen Präsidenten Asif Ali Zardari mit den Islamisten als «unumschränkte Kapitulationserklärung» vor den Taliban bezeichnet. Zardari wollte nach eigener Aussage den Taliban entgegenkommen, «um Frieden in der Region des Swat-Tales zu erreichen». "Wenn eine solche Entwicklung am Hindukusch in noch größerem Rahmen um sich greifen würde, wäre Afghanistan für den Westen wohl verloren", war dagegen aus CIA-Kreisen am Mittwoch in Washington zu hören.

Zardari hatte erklärt, alle Gesetze, die im Gegensatz zur Lehre des Propheten Mohammed stünden, seien null und nichtig. Im Herbst 2007 hatten die Taliban mit dem Aufstand im Swat-Ral begonnen. Es ist rund 160 Kilometer nordwestlich von der pakistanischen Hauptstadt Islamabad entfernt. Die Taliban streben jetzt nach eigenen Angaben die Macht über ganz Pakistan an. Im Zusammenhang mit der Abmachung über das Swat-Tal hatten die Taliban eine Waffenruhe zugesagt. «Aber welche Übereinkunft haben die Taliban je eingehalten», fragten die Geheimdienstleute.

Geht Karsai auf Taliban zu?
Angehörige mehrerer westlicher Geheimdienste wiesen darauf hin, dass der afghanische Präsident Hamid Karsai schon mehrfach angedeutet habe, zumindest mit den gemäßigten Taliban in seinem Land ins Gespräch zu kommen, um die immer schlechtere Situation in den Griff zu kriegen. Karsai wird wegen seiner «politischen Hilflosigkeit und seinem Versagen in seiner bisherigen Regierungszeit» von der neuen Regierung in Washington unter Barack Obama als nicht mehr «tragbar» empfunden.

Karsai möchte aber bei den Wahlen am 20. August von seinem Volk wiedergewählt werden. Es bestehe die akute Gefahr, dass Karsai, um an der Macht zu bleiben, den Taliban in Afghanistan ähnliche Zugeständnisse machen könnte wie Zardari in Pakistan, meinte ein CIA-Mann. Die Taliban könnten schließlich in Kabul an die Macht kommen. Afghanistan würde in die «Steinzeit-Herrschaft» der Gotteskrieger wie in den neunziger Jahren zurückfallen.

Taliban schreiten umgehend zur Tat
Die Taliban haben im Swat-Tal schon alle Mädchenschulen niedergebrannt. Frauen haben keine Rechte. Alle Männer müssen sich Bärte wachsen lassen. Widersacher werden geköpft, Dieben die Hände abgehackt. Ehebrecher werden gesteinigt. Die Gotteskrieger kennen keine Gnade.

Die weitreichenden Zusagen des pakistanischen Präsidenten Zardari an die Taliban zur Machtausübung im Swat-Tal haben in Washington «größtes Befremden hervorgerufen», sagte ein CIA-Vertreter ddp. Auch der Besuch des neuen US-Sondergesandten Richard Holbrooke in Islamabad und in Kabul habe «nicht annähernd eine Vorstellung gebracht, wie die äußerst labile Situation in Pakistan und in Afghanistan gemeistert werden könnte», erläuterte einer der Geheimdienstexperten in Kabul.

Zardari hatte offen eingeräumt, dass Pakistan wegen der fortschreitenden Ausbreitung der Taliban in allen Regionen seines Landes «am Abgrund steht». Der amerikanische Geheimdienstkoordinator Dennis Blair schilderte in seinem gerade vorgelegten Jahresbericht für Afghanistan eine fast gleiche Situation. Trotz des verstärkten Einsatzes der US- und NATO-geführten Streitkräfte am Hindukusch würden die Taliban aggressiver vorgehen als früher. Sie würden mit aller Macht versuchen, die Präsidentenwahl im Sommer in Afghanistan «massiv zu stören».

Auch deutsche Soldaten betroffen
Die Geheimdienste befürchten, dass sich auch die Lage im Norden Afghanistans, wo die deutschen Soldaten stationiert sind, wegen der anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen weiter erheblich verschärfen wird. Es wird mit einer Steigerung vor allem der Selbstmordattentate auf die ISAF-Truppen gerechnet.