Vor 100 Jahren wurde Dom Helder Camara geboren

Bruder der Armen

Es scheint, als seien in den vergangenen Jahrzehnten gerade Personen von kleiner Statur große Persönlichkeiten der Kirche geworden. Wie Mutter Teresa oder Frere Roger zählt Helder Pessoa Camara, der vor 100 Jahren, am 7. Februar 1909, geboren wurde, zu den Großen des 20. Jahrhunderts.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Das Wirken von Helder Camara (1909-1999) geht weiter, auch bald zehn Jahre nach seinem Tod. Bildung für junge Menschen, Unterstützung für unterdrückte Minderheiten, Existenzsicherung für Arme: Seit Jahren fördert die 2001 gegründete "Helder-Camara-Stiftung" Anliegen im Geiste des brasilianischen Bischofs. Weltweit war er als "Bruder der Armen" bekannt und geschätzt.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) war er der bekannteste Bischof Lateinamerikas. Sein Name steht für eine Kirche, die sich aus der jahrhundertelangen Verstrickung mit den Reichen und Mächtigen gelöst und an die Seite der Armen gestellt hat. Beim Konzil war er ein unermüdlicher Mahner zum prophetischen Aufbruch: "Gott lebt in besonderer Weise in den Armen", so seine Botschaft.

Camara wurde als elftes von 13 Kindern einer Familie in Fortaleza geboren. 1931 empfing er die Priesterweihe, engagierte sich rasch für soziale Anliegen und die Arbeiterschaft; 1952 folgte die Bischofsweihe. Wenige Jahre später hatte der junge Weihbischof in Rio de Janeiro sein Bekehrungserlebnis: "Diese Favelas", sagte ihm ein alter Mitbruder, auf die Elendshütten zeigend, "sind eine Beleidigung für den Schöpfer". Camara erkannte, wie er sagte, in den Armen das Antlitz Jesu und wurde zum prominentesten Kämpfer gegen die soziale Ungerechtigkeit, die er eine "kollektive Sünde" nannte. Camara verkörperte die Theologie der Befreiung.

Kritiker sprachen vom "roten Bischof"
Seit 1964 Erzbischof von Olinda und Recife im armen Nordosten Brasiliens, erregte er politisch immer häufiger Anstoß. Er legte sich mit der Militärdiktatur an, kämpfte für Menschenrechte und die Forderung nach Rückkehr zur Demokratie. Camara gründete nicht nur die Brasilianische Bischofskonferenz, sondern auch die ersten Basisgemeinden. Als er 1970 in Paris öffentlich über die grauenvollen Folterungen durch brasilianische Militärs sprach, gab es zunächst eine Pressekampagne gegen ihn. Dann schwiegen ihn die Medien des Landes zehn Jahre lang tot. Kritiker sprachen vom "roten Bischof". In Europa wurde der lateinamerikanische Kirchenmann umso berühmter.

Der furchtlose und tief fromme Mann, der die halbe Nacht im Gebet zubrachte, der das Bischofspalais den Obdachlosen öffnete, war in Kirche und Welt gleichermaßen umstritten. Durfte man die Weltwirtschaftsordnung so pauschal infrage stellen, wie dieser Dritte-Welt-Bischof es ungeniert und unermüdlich tat? An dieser Frage schieden sich die Geister. Mit seiner Botschaft "Entwicklung ist Frieden, Unterentwicklung ist Krieg" musste Camara polarisieren. Bald zehn Jahre nach seinem Tod bekommt manche seiner Äußerungen angesichts der globalen Finanzkrise einen neuen prophetischen, aktuellen Klang.

Vorkämpfer für eine gerechtere Welt
Camara trat konsequent für das Prinzip der Gewaltlosigkeit ein. Trotzdem galt er vielen als verkappter Kommunist oder politischer Aufrührer. Für seine Anhänger blieb er ein glaubwürdiger Vorkämpfer der nachkonziliaren Kirche für eine gerechtere Welt.

Als er 1985 in Ruhestand ging, bekam seine Erzdiözese einen erzkonservativen Nachfolger, der die Uhren zurückdrehte. Camara hielt sich mit Bewertungen zurück. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) würdigte ihn in einem Kondolenzschreiben 1999 als "engagierten Seelsorger" und erinnerte an seine "unzähligen pastoralen Aktivitäten". Camaras Leichnam ruht in der Kathedrale von Recife. Auch dank einer Stiftung geht sein Wirken in Lateinamerika, Asien oder Afrika weiter.