Der Gesellschaftsphilosoph Fritjof Capra wird 70

Von der Einheit aller Dinge

Vor den Gefahren der globalen Wirtschaft für die Natur warnt er seit Jahrzehnten und nicht erst seit dem Bekanntwerden der Klimakatastrophe und den Krisen auf den Finanzmärkten: der Gesellschaftsphilosoph und Atomphysiker Fritjof Capra. Heute wird er 70 Jahre alt.

Autor/in:
Stephan Cezanne
 (DR)

Ziel der globalisierten Wirtschaft ist seiner Auffassung nach die Maximierung von Reichtum und die Machterhaltung ihrer Eliten. Ziel der Öko-Bewegung sei dagegen die Erhaltung alles Lebendigen. Beide Interessen stehen sich bislang unvereinbar gegenüber, sie befinden sich auf Kollisionskurs, urteilt der Philosoph.

Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts könnten nur gemeistert werden, wenn Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und Wirtschaft gemeinsam ein neues Wertesystem entwickelten, das mit der Menschenwürde und ökologischer Nachhaltigkeit vereinbar sei. In der kapitalistischen Gesellschaft gehe der zentrale Wert des Geldverdienens bisher Hand in Hand mit der Verherrlichung des Konsums, bilanziert Capra: "Ein nicht enden wollender Strom von Werbebotschaften verstärkt die Wahnvorstellung der Menschen, die Anhäufung materieller Güter sei der Königsweg zum Glück, der wahre Sinn unseres Lebens", mahnt er in einem seiner jüngsten Bücher, "Verborgene Zusammenhänge - vernetzt denken und handeln" (2002).

Fantasievollster alternativer Denker
Capra, der 1939 in Wien zur Welt kam und heute in Kalifornien lebt, gilt seit den 1970er Jahren als einer der fantasievollsten alternativen Denker. Unermüdlich weist der charmant und wesentlich jünger wirkende US-Amerikaner österreichischer Herkunft auf den radikalen Wandel des Weltbildes vieler Menschen seit Mitte des 20. Jahrhunderts hin: Der lange vorherrschende Materialismus werde unter dem Motto "Ganzheitlichkeit" zunehmend infrage gestellt.

Als Meilenstein dieser Aufbruchstimmung gilt Capras 1975 erschienenes Buch "Das Tao der Physik". Sein Grundgedanke: Es gibt Parallelen zwischen den mystischen Traditionen der Religionen - besonders denen aus Asien - und den Entdeckungen der modernen Naturwissenschaften.

Wichtigstes Merkmal der östlichen Weltanschauung sei dabei das "Gewahrsein der Einheit und gegenseitigen Beziehung aller Dinge und Ereignisse, die Erfahrung aller Phänomene in der Welt als Manifestationen einer einzigen fundamentalen Identität". Kurz: Alles ist mit allem verbunden, nichts existiert unabhängig, kein Mensch, kein Tier, keine Pflanze, kein Stein.

Bevor der hochbegabte Capra einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, absolvierte er eine beeindruckende akademische Karriere. Nach dem Physikstudium in Innsbruck und Wien forschte und lehrte er an Universitäten in Paris, London, Stanford und Berkeley. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Quantenfeldtheorie, theoretische Elementarteilchenphysik sowie die Systemtheorie. Er entwickelte immer mehr die Fähigkeit, hochkomplexe Sachverhalte allgemeinverständlich zu erklären. Der Titel seines zweiten Bestsellers "Wendezeit" (deutsch 1983) wurde über Nacht zum Schlagwort.

New-Age-Kritik
Kritiker werfen Capra allerdings vor, unzulässig Theorien aus Philosophie, Mystik und Wissenschaft sowie östliches und westliches Denken miteinander zu vermischen. Er selbst wehrt sich dagegen, als New-Age-Denker vereinnahmt zu werden: "Wenn wir in Kalifornien heute von New Age sprechen, meinen wir in erster Linie Leute, die auf der Bewusstseinstufe der 1970er Jahre stehengeblieben sind." So fehle der New-Age-Bewegung ökologisches, soziales sowie feministisches Bewusstsein. Als Vorbilder für sein ganzheitliches Weltverständnis beruft er sich eher auf Koryphäen wie Albert Einstein, Niels Bohr, Werner Heisenberg und Max Planck.

Capra unterstützt verschiedene gesellschaftliche Bewegungen, die seiner Auffassung nach alle in die gleiche Richtung zielen: Die zunehmende Beschäftigung mit Umweltproblemen, das starke Interesse für Mystik, das wachsende Selbstbewusstsein der Frauen und die Wiederentdeckung ganzheitlicher Methoden in der medizinischen Wissenschaft und der Heilkunst. Das sind für ihn alles Manifestationen desselben evolutionären Trends.

Ob noch genügend Zeit bleibt für den notwendigen Wertewandel? Capra zeigt sich vorsichtig optimistisch. Es gebe viele Anzeichen dafür, dass eine vielleicht entscheidende Zahl von Menschen und Institutionen auf der ganzen Welt den Übergang zur ökologischen Nachhaltigkeit vollzieht. Das neue Verständnis komplexer biologischer und sozialer Systeme zeige, dass nach einer Krise neue Ordnungen entstehen können. Capra: "Ja, die neuere Geschichte kennt einige eindrucksvolle Beispiele derart dramatischer Umwandlungen vom Ende der Apartheid in Südafrika bis zum Fall der Berliner Mauer und der unblutigen Revolution in Osteuropa."