Vor 125 Jahren starb Alpenpionier Franz Senn

Der "Gletscherpfarrer"

Was tut ein junger Priester, der freiwillig in einem abgeschiedenen Tiroler Bergdorf arbeitet? Franz Senn, der studierte Bauernsohn aus dem Ötztal, hatte ein neuartiges Seelsorgekonzept vor Augen - eine Pionierleistung, die ihm die Bewohner von Vent noch heute, 125 Jahre nach seinem Tod, hoch anrechnen.

 (DR)

Das Seelsorgekonzept: Senn wollte die Berge seines Tals für die Touristen aus den Städten erschließen, um den bitterarmen Einheimischen zusätzliche Einnahmen zu verschaffen.

Der Mitbegründer des Deutschen Alpenvereins opfert für seine ehrgeizigen Ziele Geld und Gesundheit. Für den Alpinismus, wie ihn Engländer und Franzosen bereits in den Westalpen praktizieren, ist das 1.900 Meter hoch gelegene 50-Seelen-Dorf, in dem Senn 1860 die Seelsorge übernimmt, nicht gerüstet: Es fehlen Bergführer, Gästezimmer und Wege. Nur ein schmaler Ziegenpfad führt in den hintersten Winkel des Ötztals. Auf eigene Kosten baut der 29-Jährige kurzerhand sein Pfarrhaus zur Herberge um und beginnt, Bergführer auszubilden. Mit seinem besten Schüler und Freund Cyprian Granbichler gelingen ihm viele Erstbegehungen, die er genau beschreibt.

Senns Kalkül geht auf; die Gäste kommen. Im ersten Sommer übernachten bei ihm schon 200 Touristen, zehn Jahre später sind es 750. "Wenn wir den Senn nicht gehabt hätten", sinniert Alois Pirpamer. "Der hatte wirklich eine Ahnung vom Alpinismus!" Der 71-jährige Bergführer aus Vent ist ein großer Verehrer des "Gletscherpfarrers". Heute ist das Dorf von acht Alpenvereinshütten umgeben. Ein dichtes Wegenetz erschließt die wilde Bergwelt.

Einige der schönsten Touren gehen unmittelbar auf Senn zurück. Der Pfarrer war auch der erste, der einen Katalog mit Rechten, Pflichten und Tarifen für die neue Berufsgruppe der Bergführer verfasste. Die Grundsätze seiner "Ötztaler Führerordnung" gelten immer noch.

Senn ist ein Einzelkämpfer
Senn ist ein Einzelkämpfer, Schulden begleiten ihn sein Leben lang.
Weder das Ordinariat in Brixen noch die Tiroler Landesregierung unterstützen seine Projekte. Auch beim 1862 gegründeten Österreichischen Alpenverein blitzt Senn ab. Die Bergfreunde in Wien sind eher akademisch interessiert. Vergeblich versucht der Geistliche, den Club zu reformieren. Schließlich gründet er mit Freunden am 9. Mai 1869 in München den Deutschen Alpenverein (DAV).

"Die Bereisung der Alpen soll erleichtert, Sektionen gebildet, Hospize gebaut, regelmäßige Bergberichte veröffentlicht werden", heißt es in der maßgeblich von Senn formulierten Satzung. Heute zählen der Deutsche und der Österreichische Alpenverein mit zusammen mehr als einer Million Mitgliedern zu den größten Bergsportverbänden der Welt. Ihre Sektionen unterhalten gut 40.000 Kilometer Wanderwege und 573 Hütten - eine aufwändige Angelegenheit, die in Zeiten des Klimawandels zunehmend ins Geld geht. Immer häufiger zerstören Erdrutsche ganze Wegabschnitte.

Höhepunkt als Alpenpionier
Mit der Gründung des DAV erreicht Senn seinen Höhepunkt als Alpenpionier. Ein Jahr zuvor hat er seinen besten Freund verloren - bei einer Bergtragödie, an der er sich mitschuldig fühlt. Es passiert am 7. November 1868: Obwohl Granbichler im Schneetreiben umkehren will, drängt ihn Senn zum Weitergehen, denn der Priester will die Sonntagsmesse nicht verpassen. Nach einem 30-stündigen Gewaltmarsch bricht Senns Bergführer zusammen und stirbt.

Mit Senn, der Jahr für Jahr im Ötztal für seine Ideen rackert, geht es gesundheitlich bergab. Kurz vor seinem Tod am 31. Januar 1884 blüht der lungenkranke Priester noch einmal auf. Nach einem Wechsel in seine Wunschpfarrei Neustift im Stubaital kümmert er sich noch einmal mit vollem Einsatz um die Bergführer und weitere Schutzhäuser. Eines davon trägt bis heute seinen Namen.