Die SPD-Politikerin Lale Akgün im domradio zur Integrationsstudie

"Schuld sind immer die anderen"

Nach Bekanntwerden der neuen Migrantenstudie ist in Deutschland eine Debatte über die Integrationspolitik entflammt. Islam-Vertreter machen u.a. eine fehlende Gleichbehandlung an den Schulen verantwortlich. Lale Akgün hat lange das Landeszentrum für Zuwanderung des Landes Nordrhein-Westfalen geleitet. Im domradio-Interview verteidigt die türkischstämmige Bundestagsabgeordnete die Arbeit der Lehrer und sagt: "Es ist eine soziale Frage."

 (DR)

domradio: Warum sehen die Ergebnisse der Studie denn gerade für die Türken so schlecht aus?
Akgün: Das ist ganz einfach zu erklären: In den 60er Jahren fand in Deutschland die erste Einwanderungswelle nach Deutschland statt. Zu der Zeit wurden vor allem ungelernte und angelernte Arbeiter aus der Türkei angeworben. Auf Zeit. Und unter der Prämisse, dass sie wieder zurückkehren. Aber die Menschen blieben, haben ihre Familien nachgeholt - und ihr Bildungsstand wurde dadurch nicht besser. Sie blieben ungelernte Arbeiter. Und auch ihre Kinder hatten keinen Erfolg. So hat man eine schlecht ausgebildete Gruppe geholt, die schlecht ausgebildet geblieben ist. Auch, weil diese Gruppe in all den Jahren wenig getan hat für ihr soziales Weiterkommen. Aber: Die Politik hat auch zu wenig getan, den sozial Benachteiligten zu helfen. Es ist also eine soziale Frage.
Ich finde es spannend, wenn man die Gruppe mit Spätaussiedlern vergleicht, die zum Teil eine gute Schulausbildung mitbringen, die eine gute Schulausbildung mitbringen - und dadurch besser dastehen. Auch wenn sie manchmal auf schlechten Arbeitsplätzen arbeiten, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden. Aber man merkt eben, dass sie eine gute Ausbildung mitgebracht haben. Und das fehlt den Türkischstämmigen in Deutschland.

domradio: Der Dialogbeauftragte des Moscheen-Dachverbandes DITIB Bekir Alboga zweifelt die Studie an und gibt an den negativen Werten bei Schulabschlüssen den Lehrern die Schuld. Viele türkischstämmige Schüler hätten seiner Meinung nach mit diskriminierenden Lehrern zu tun. Wie sehen Sie das?
Akgün: Man macht es sich ein bisschen zu einfach, immer die Schuld den anderen zu geben. Immer sind es die bösen Lehrer. Mein Mann ist Lehrer. Und ich weiß, wie er und seine Kollegen sich jeden Tag abmühen, den Kindern etwas beizubringen. Lehrer freuen sich doch, wenn die Kinder erfolgreich sind.
Da sind andere Dinge: Es fehlt den Kindern häufig am Nötigsten. Sie kommen ohne Bleistift, Hefte und Bücher zur Schule. Sie haben daheim niemanden, der sie unterstützt. Oft kommen erleben sie dort bitterste Armut und dass Schule, nicht wichtig sei. Dabei ist Schule für Kinder ein wichtiger Punkt! Es verschönert ihnen den Alltag.

domradio: Kinder, die das erleben - sprechen Sie hier von den Türkischstämmigen?
Akgün: Prozentual ist ihr Anteil unter den sozial Benachteiligten groß.

domradio: Wie sieht es mit der Integration der Migranten in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu den anderen Bundesländern aus?
Akgün: Wir sprechen heute von ganz bestimmten sozialen Daten. Und diese Daten sind immer abhängig von der Gesamtlage. Wenn die Arbeitslosenquote in NRW sinkt, sinkt sie auch unter den Migranten. Und dann sind sie auf einmal besser integriert. Berlin ist eine besondere Situation: Hier ist die Arbeitslosenquote enorm hoch - und die unter den Migranten besonders hoch. Weil in den 70er Jahren besonders unqualifizierte Migranten nach Berlin geholt wurden, während nach Köln auch Leute mit guter Ausbildung geholt wurden.